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Die Roten Khmer

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Das Daumendrücken, das ich mir im letzten Bericht gewünscht hatte, hat geklappt. Mein Taxi brachte mich an meinem Abreisetag aus Malaysia tatsächlich ohne Stau bis zum Flughafen. Vielleicht wäre etwas zähfließender Verkehr aber gar nicht so schlecht gewesen, weil mein Fahrer sich veranlasst fühlte, einen neuen Geschwindigkeitsrekord bis zum Flughafen aufzustellen. 

Ein Effekt dieser Raserei war, dass ich überpünktlich am Terminal ankam.  Auch die Gepäckabgabe war schnell erledigt, sodass ich noch ganz in Ruhe frühstücken konnte. Und dann war mein Abschied aus Malaysia gekommen. Wie schnell die vier Wochen schon wieder um waren. 

Malaysia bekommt von mir auf jeden Fall ein „Daumen hoch“. Es heißt ja immer, dass Thailand das perfekte Einsteigerland sei, wenn man noch nie in Südostasien war. Meiner Meinung nach ist Malaysia noch besser. Klar, größere Partys und mehr Strände gibt es in Thailand. 

Aber ein fetter Pluspunkt für Malaysia ist, dass hier so gut wie jeder zumindest ein bisschen Englisch spricht. Und das ist viel wert, merke ich gerade wieder, wo ich in Kambodscha angekommen bin und die Sprachbarriere deutlich gewachsen ist.

Was hat mir noch gefallen? Das Bussystem ist super ausgebaut, das Land ist billig, Taxifahren ist dank Grab absolut bequem. Die Menschen sind freundlich und man wird im Gegensatz zu anderen Ländern der Region sehr selten von Händlern angequatscht. Der Verkehr kann zwar wild sein, aber auch hier muss ich sagen, dass ich jetzt in Kambodscha bemerkt habe, in welchem Verkehrsparadies ich in Malaysia gelebt hatte. 

Nicht gesehen habe ich Ostmalaysia. Das Land besteht aus zwei Teilen. Ostmalaysia liegt auf der Insel Borneo, zusammen mit Teilen von Indonesien und Brunei. Dort soll alles sehr viel ländlicher und sehr viel weniger touristisch sein. Aber für meinen ersten Besuch bin ich lieber den ausgetretenen Pfaden gefolgt. 

Also lange Rede kurzer Sinn: Malaysia lohnt sich. 

Ok, nun müssen wir uns aber auf Kambodscha einlassen. Nach knapp zwei Stunden Flug landeten wir in der Hauptstadt Phnom Penh. Die Einreisekontrolle ging richtig schnell, weil sehr viele Schalter besetzt waren. Das hatte ich in Malaysia ja ganz anders erlebt. 

Vor dem Flughafen fühlte ich mich zum ersten Mal riiiichtig in Südostasien angekommen, weil ich von Scharen von Tuktuk- und Taxifahrern belagert wurde. So gehört sich das. Ich bestellte mir trotzdem wieder ein Grab, um nicht übers Ohr gehauen zu werden.

Das setzte mich nach einer halben Stunde Fahrt durch die verstopften Straßen von Phnom Penh vor meinem neuen Hostel ab. Das war sehr modern und hatte eine Dachterrasse mit toller Aussicht auf den Fluss gegenüber.

Weil es schon dunkel war, bin ich nur mal schnell zu der Promenade gelaufen, die ihr auf dem Foto seht und habe von dort noch ein paar Fotos gemacht.

Und dann begann mein großer Planungsmarathon, der mich den Abend über und auch noch fast den kompletten nächsten Tag beschäftigte. Aber es hat sich gelohnt. Ich weiß jetzt nicht nur, wo es für mich nach Kambodscha hingeht, sondern meine Reise steht jetzt bis Ende September. 

Anfang September treffe ich mich ja mit meiner Familie für zehn Tage in Valencia. Im Anschluss kommt mich noch meine Freundin Lena besuchen und wir wollen Richtung Madrid tingeln. 

Bevor ich nach Spanien fliege, bin ich zwei Wochen in Marokko. Ich hatte Marokko eigentlich fast schon von meiner Liste gestrichen, weil ich wirklich unschöne Dinge von alleinreisenden Frauen gelesen hatte. 

Aber Mama, keine Angst. Ich habe die perfekte Lösung gefunden. Ich mache dort jetzt nämlich eine 15-tägige Gruppenrundreise. Weil es ein Restplatz war, habe ich die Tour sehr günstig bekommen.

Und was mache ich zwischen Kambodscha und Marokko? Das soll eine Überraschung bleiben. Für mich war es auch eine halbe Überraschung, weil ich das Land bislang überhaupt nicht auf dem Schirm hatte, bis ich im Flieger von Kuala Lumpur nach Phnom Penh plötzlich eine Eingebung hatte und wusste: Da will ich hin.

Wenn ihr wollt, gebt gerne einen Tipp ab. Falls es jemand errät, gibt es ein Mitbringsel. Es ist übrigens nicht Deutschland, falls das eure Vermutung war.

So, ich versuche jetzt nicht, einen eleganten Übergang zu konstruieren sondern komme einfach abrupt mit einem heftigen Themenwechsel. 

An meinem zweiten Tag in Phnom Penh besuchte ich zwei Horrorstätten, die die Roten Khmer in den 70er Jahren errichtet hatten.

Kambodscha hatte Anfang der 50er Jahre nach fast 100 Jahren unter Französischer Kolonialherrschaft seine Unabhängigkeit erlangt. Dann begann der Vietnamkrieg und Kambodscha wurde tief in diesen Krieg hineingezogen.

Das Land diente teils als Rückzugsort der vietnamesischen Guerillagruppe der Vietcong, was unter anderem dazu führte, dass die USA mit der Bombardierung Kambodschas begannen. Im Land herrschten Bürgerkrieg, Armut und Korruption. Der König musste abdanken. 

In dieser instabilen Lage gewann eine Gruppierung immer mehr an Einfluss: die Roten Khmer. Die Partei verfolgte das Ziel eines radikalen Kommunismus und kam 1975 endgültig an die Macht. Im April zogen die Truppen in Phnom Penh ein und vertrieben innerhalb weniger Tage fast die komplette Stadtbevölkerung aufs Land. Ähnliches passierte in allen Städten des Landes.

Die Roten Khmer misstrauten den Stadtmenschen. Sie wollten ein Volk, das rein von Landwirtschaft lebte. Einer Landwirtschaft aus der Vergangenheit. Moderne Geräte wurden abgeschafft. Geld wurde abgeschafft, ebenso wie Schulen, Telekommunikation, Gefühlsäußerungen. Familien wurden getrennt. Gegessen werden durfte nur noch in der Gemeinschaft. 

Intellektuelle, Gesinnungsfeinde, Verdächtige aus den eigenen Reihen, Ausländer, kamen ins Gefängnis. Dort wurden falsche Geständnisse teils durch Folter erzwungen, bevor die Menschen hingerichtet wurden.

Das berüchtigste Gefängnis stand in Phnom Penh: S-21. Bis 1979 wurden dort schätzungsweise 20.000 Menschen eingeliefert. Elf überlebten – sieben Erwachsene und vier Kinder.

Das Gefängnis war in einer ehemaligen Schule untergebracht. Es steht mitten in der Stadt, nur durch einen Stacheldraht von den Straßen drumherum getrennt. Heute kann man dieses Gefängnis besichtigen.

Ein Mitarbeiter des Hostels fuhr zwei Niederländerinnen und mich hin. Wir liehen uns Audioguides aus. Das in Kombination mit den Bildern vor Ort war sehr hart. An den Wänden hängen Fotos von den Toten, die bei der Befreiung 1979 gefunden wurden. Man sieht die Folterwerkzeuge. Die winzigen Zellen, Blut an der Wand. Ich möchte hier jetzt auch nicht zu deutlich werden. Ich habe versucht, alles nicht zu nah an mich ranzulassen.

(Ihr müsst keine Angst vor der Bildergalerie haben, es sind keine expliziten Fotos dabei.)

Besonders erschüttert haben mich die Kinder. Es wurden nicht nur Kinder inhaftiert. Auch viele der Wächter waren gerade einmal Teenager. 

Nach dem Besuch des Gefängnisses fuhr der Hostelmitarbeiter mit uns nach Choeung Ek, den Killing Fields. Vielleicht auf einer ähnlichen Route, auf der die Häftlinge dorthin gebracht wurden. 

In den Anfangszeiten des Gefängnisses wurden sie noch vor Ort getötet. Dazu war aber irgendwann nicht mehr genug Platz. Außerdem brauchte man einen etwas „diskreteren“ Ort. Der Rest der Bevölkerung sollte schließlich nichts von den grausamen Vorgängen mitbekommen.

Auf den Killing Fields wurden die Menschen nachts zu Propagandaliedern und dem Dröhnen der Dieselgeneratoren hingerichtet und in Massengräber geworfen.

Diese Bildergalerie enthält einige Bilder und Infos, die etwas schlimmer sind. Bitte im Zweifelsfall nicht klicken, wenn ihr nicht wisst, ob ihr mit sowas umgehen könnt.

Insgesamt wurden in Choeung Ek Überreste von knapp 9.000 Menschen gefunden. Es gab noch viele weitere Killing Fields in Kambodscha. Schätzungen gehen heutzutage davon aus, dass rund zwei Millionen von acht Millionen Menschen in Kambodscha während der Herrschaft der Roten Khmer ums Leben kamen. Weil sie umgebracht wurden oder an Hunger und harter Arbeit starben.

Als ich die Killing Fields wieder verließ und vor dem Eingang nach den anderen suchte, kam ein Mann auf mich zu. Wie sich herausstellte, war er einer der sieben überlebenden Erwachsenen des Gefängnisses S-21. Ich wusste gar nicht, was ich sagen sollte. Ich konnte auch gar nicht viel sagen, weil er leider kein Englisch sprach. Ich hätte ihn gerne so viele Dinge gefragt. 

Aber er bestreitet heute seinen Lebensunterhalt, in dem er eine Biographie seiner Zeit im Gefängnis verkauft. Die habe ich gekauft, ich konnte mich aber noch nicht überwinden, sie zu lesen. 

Inzwischen war es schon Nachmittag und nachdem wir zurück im Hostel waren, verbrachte ich den Rest des Tages auf der Dachterrasse und dankte dem Universum, dass ich in Nachkriegsdeutschland auf die Welt gekommen bin.

Für alle, die bis hierhin mitgelesen haben: vielen Dank. Ich weiß, der Blogeintrag ist ein bisschen anders als sonst. Aber ich fand es wichtig, etwas ausführlicher zu den historischen Hintergründen zu schreiben, als ich das normalerweise mache.

Einmal kurz tief durchatmen und dann versuchen wir uns langsam wieder in seichtere Gefilde vorzutasten.

Ich hatte noch einen letzten Tag in Phnom Penh. Viel stand nicht auf meinem Zettel, da Phnom Penh ehrlich gesagt eine ziemlich hässliche Stadt ist. Den königlichen Palast wollte ich mir noch anschauen. 

Da der in der Nähe des Hostels liegt, verzichtete ich auf ein Tuktuk und lief an der Flusspromenade entlang, die vor meinem Hostel beginnt. Das war ganz ok, wenn man davon absieht, dass es so heiß war, dass ich Angst hatte, jeden Augenblick umzufallen. 

Und wenn man davon absieht, dass ich von Tourguides und Tuktukfahrern belagert wurde, als ich mich dem Palast näherte. Es war mir nicht möglich, mich in Ruhe umzuschauen und nach dem Eingang zu suchen. Dieser Umstand gepaart mit der Hitze veranlasste mich dazu, auf einen Besuch des Palastinneren zu verzichten und den Rückzug anzutreten.

Am nächsten Vormittag holte ein Tuktukfahrer zwei Amerikanerinnen und mich ab, stopfte uns alle irgendwie in sein Gefährt und das Gepäck aufs Dach. Und dann konnte ich ein letztes Mal den Verkehr in Phnom Penh bewundern. 

Ich habe wirklich keine Ahnung, wie das funktionieren kann, ohne dass es alle 30 Sekunden einen Unfall gibt. An Ampeln wird sich nicht gehalten, wenn es überhaupt welche gibt. An Spuren wird sich nicht gehalten, wenn es überhaupt welche gibt. Jetzt habe ich Vergleichbares schon in anderen Ländern erlebt, es wird aber für immer ein Mysterium für mich bleiben.

Das ist ein Foto vom Vortag, aber man sieht hier ein wenig, wie alles kreuz und quer geht

Der Fahrer setzte uns an der Busstation ab, wo wir noch etwas Zeit hatten, sodass ich mir eine Cola kaufen konnte. Ich finde es ein bisschen lustig, wie man hier „Cola to go“ bekommt. Die drücken dir nicht einfach die Coladose in die Hand. Die Dose wird geöffnet und der Inhalt in einen großen Plastikbecher mit ganz viel Eis gegossen. Auf den Becher kommt ein Deckel, dazu gibt es einen Strohhalm und dann wird alles in eine kleine Plastiktüte gepackt, die dir überreicht wird. 

Man kann Cola natürlich durch andere Getränke ersetzen. In der Folge laufen jedenfalls viele hier mit diesen Getränkeplastiktüten am Arm rum.

Mit dem Minibus ging es Richtung Süden. Nach knapp vier Stunden setzte uns der Fahrer irgendwo im Zentrum meines Zielorts Kampot ab. Wir wurden sofort von Tuktukfahrern umringt. Die hatten da ein System. Jeder Fahrgast wurde immer von einem bestimmten Tuktukfahrer in Beschlag genommen. 

Der Tuktukfahrer, der sich mich auserkoren hatte, nannte mir keinen zu überzogenen Preis für die Fahrt. Deshalb ließ ich mich auf das Angebot ein. Auf dem Weg aus der Stadt raus gaben ihm andere Tuktukfahrer trotzdem den Daumen nach oben. Also wird er schon gut an mir verdient haben.

Mein aktuelles Hostel liegt etwas außerhalb von Kampot. Das hatte ich mir extra so ausgesucht, um dem Stadtchaos zu entkommen. Die Unterkunft ist recht simpel. 

Es ist schon komisch. Auf Vanuatu und Fidschi hatte ich wochenlang in vergleichbaren Unterkünften gewohnt und null Probleme damit gehabt. Aber nach den schicken Hostels in Malaysia und Phnom Penh fällt mir die Umstellung diesmal schwer.

Dazu kommt, dass ich mal wieder verschnupft bin. Es ist zum Mäuse melken. Aber kein Wunder, wenn man ständig auf so vielen anderen Menschen hockt. Und irgendjemand im Schlafsaal ist immer krank. Bei meiner letzten Reise war ich auch ständig erkältet, kann ich mich erinnern.

Aber so schlimm ist es auch wieder nicht. Heute bin ich zwar im Hostel geblieben, aber ich bin guter Dinge, dass ich morgen wieder etwas unternehmen kann. 

Dieser Beitrag hat 6 Kommentare

  1. Rebekka

    Was für ein spannender Bericht. Wahnsinn, zu was Menschen fähig sind und wie das eine ganze Bevölkerung traumatisieren kann. Mmmhh, der Tipp – afrikanisches Land oder eher arabische Welt. Ich tippe einfach mal auf Mauretanien… 😉

    1. Anne

      Ja, der Besuch war wirklich sehr intensiv und man merkt die Geschichte noch überall. Übrigens, Afrika und die arabische Welt waren ja beide geplant, aber musste ich jetzt beides aufgrund massiver Trödelei skippen. Habe mich ganz spontan für Japan entschieden.

  2. Ursula Spier

    Hallo Anne. Zieht es dich vielleicht nach Sri Lanka.
    Liebe Grüße aus Enkirch

    1. Anne

      Sehr guter Tipp, mit Sri Lanka habe ich lange geliebäugelt, habe mich letztendlich aber doch dagegen entschieden 🙂

  3. Carlo

    Dann rate ich mal: Österreich oder Schweiz vielleicht?

    Wünsche noch eine tolle Reise 🧳

    1. Anne

      Carlo, du bist ein Schlingel, das sind ja zwei Tipps 🙂 Aber: Nein und Nein.

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