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Die wunderbare Welt des Sozialistischen Klassizismus

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Juhu, es klappt wieder. Ich hatte in den letzten Tagen Probleme mit meinem Blog und musste mich mit Datenbanken, Backups, php und SQL und so einem Kram rumschlagen und habe überhaupt nichts verstanden. Ist schon etwas unpraktisch, wenn man eine Website betreibt und keinerlei Ahnung von so etwas hat. 

Aber ihr habt auch nicht viel verpasst, denn wie ich im letzten Bericht schon angedeutet hatte, ist Nowosibirsk nicht der hellste Stern am Städtehimmel. Ich ließ dort deswegen alles etwas ruhiger angehen. 

Zuerst kurz zum Hostel. Das lag mal wieder in einem Hinterhof, diesmal besonders zwielichtig und versteckt. Mit Hilfe einer Einheimischen fand ich hin. Von innen war es aber sehr gemütlich und sauber, wie eigentlich alle Hostels in Russland bislang. 

Hostel in Nowosibirsk

Leider war auch hier das Publikum wenig international. Ich habe gar kein Problem mit Russen, ich habe nur ein Problem damit, dass der Großteil kein Englisch kann. An meinem ersten Abend lernte ich aber doch zwei englischsprechende Russen kennen, Anastasia und Paul (so habe ich den Namen zumindest verstanden). 

Wir haben bis tief in die Nacht gequatscht (Anastasia musste am frühen Morgen zum Flughafen, wir vertrieben ihr die Wartezeit), was sehr erhellend für mich war. Weil die beiden mir auch von Politik, Sozialem, Religion in Russland erzählt haben und wie sie das Leben hier empfinden. 

In Sankt Petersburg hatte mich ein Kanadier, der gerade einen langen Russlandtrip hinter sich hatte, eindringlich davor gewarnt, Russen gegenüber zu erwähnen, dass ich Journalistin bin. Immer wenn ich in den letzten Wochen gefragt wurde, konnte ich es aber nicht über mich bringen, komplett zu lügen. 

Ich sagte meistens, ich berichte nur über Lokalsport und Kultur. Aber ich glaube, das wäre überhaupt nicht notwendig, zumindest nicht gegenüber jungen Leuten. Die waren immer sehr aufgeschlossen. So auch Anastasia und Paul, sonst hätten sie wohl kaum so offen von den Problemen in Russland berichtet.

Am nächsten Tag schaute ich mir die Innenstadt von Nowosibirsk genauer an. Dazu muss man wissen, dass die Stadt erst 1893 gegründet wurde. Ihre Geschichte hängt eng mit der der Transsibirischen Eisenbahn zusammen. Die ersten Einwohner Nowosibirsks waren nämlich Arbeiter, die im Zuge des Ausbaus der Strecke eine Eisenbahnbrücke über den Fluss Ob bauen sollten.  

Nowosibirsk gab es gerade einmal 24 Jahre, als die Monarchie aus Russland verschwand. Die Stadt ist also in ihrer Erscheinung stark durch die Sowjetzeit geprägt. Barocke Prachtbauten gibt es hier nicht – dafür Sozialistischen Klassizismus, für diesen Baustil ist die Stadt bekannt. Eindringlichstes Beispiel ist das Opernhaus mit der riesigen Leninstatue im Herzen der Stadt (Siehe Titelbild. Hier noch ein Foto von der Oper).  

Opernhaus in Nowosibirsk

Der Platz ist einer der schönsten Orte in der Stadt. Mit Bänken, einem Park und viel Freifläche ist es dort sehr gemütlich. Ansonsten sucht man in Nowosibirsk lange nach weiteren Highlights. Davor hatte mich in Deutschland schon mein Reiseführer gewarnt, aber ich wollte trotzdem hier einen Zwischenstop machen, weil diese Stadt für mich immer etwas Abenteuerliches, etwas fernab meiner Welt dargestellt hat.

Hier eine Galerie mit „Sehenswürdigkeiten“ und allgemeinen Bildern der Stadt.

Im Anschluss wollte ich den Ob besuchen. Ich wäre fast an einem Kreisverkehr aus der Hölle gescheitert. Ich meine, ich musste über acht Zebrastreifen um auf die andere Seite zu gelangen. Auf den ersten Blick sah der Zugang zum Fluss nicht besonders einladend aus. Schmuddelig und industriell. Ich war dann entsprechend überrascht, als ich mich auf einmal an einer recht schicken Flusspromenade wiederfand. Es gab dort sogar einen kleinen Vergnügungspark. Und die Eisenbahnbrücke, mit der Nowosibirsks Geschichte einst begann, habe ich auch gesehen.

An meinem zweiten Tag folgte ich erneut der Roten Linie, die, genauso wie in Jekaterinburg, an Sehenswürdigkeiten in Nowosibirsk vorbeiführt. Oder vorbeiführen soll. Das waren dann so Sachen wie das erste Verwaltungsgebäude der Stadt oder der Gründungssitz der sibirischen Telefongesellschaft. Trotzdem war der Spaziergang keine verschwendete Zeit. Nowosibirsk ist zwar nicht schön, aber definitiv ganz anders als alle Städte, die ich bislang gesehen habe. Und das ist doch auch etwas wert.

Mein Zug nach Krasnojarsk fuhr am Donnerstag erst am Abend ab. Ich durfte netterweise den ganzen Tag noch im Hostel verbringen. Weil ich keine Ahnung hatte, was ich mir in der Stadt noch anschauen soll, blieb ich drinnen und vertrieb mir die Zeit mit etwas Müßiggang, bis es Zeit zum Aufbruch war.

 

Zug am Bahnhof in Nowosibirsk
Abfahrt in Nowosibirsk

Diesmal gab es zwei Neuerungen bei der Zugfahrt. Erstens fuhr ich 2. Klasse. Da war ich ganz überrascht, als ich das auf meinem Ticket las, weil ich eigentlich gedacht hatte, immer 3. Klasse gebucht zu haben. Und zweitens hatte ich diesmal die obere Liege, bei der ich nicht sicher war, ob ich sie überhaupt würde erklimmen können.

2. Klasse bedeutet Viererabteil. Ein Herr mittleren Alters saß schon auf der Liege, als ich ankam. Wir blieben zu zweit im Abteil. Zuerst kam mir der Mann etwas grummelig vor, aber das stellte sich als falsch heraus. Sergej war sehr kommunikationsfreudig. Ihr könnt euch sicherlich denken, was der Haken an der Sache war. Sein Deutsch war ein wenig besser als mein Russisch, also nicht viel. 

Ich versuchte mit dem Googleübersetzer weiterzukommen. Ich tippte meine Texte ein und Sergej sprach seine Sätze ein, da ich keine kyrillischen Buchstaben auf dem Handy habe. So ganz zuverlässig ist das Programm aber nicht. Da kamen dann so schöne Übersetzungen raus wie: „Wenn jetzt niemand sitzt, kannst du hier liegen und wenn du dich setzt, wirst du gehen.“ Der erste Teil ist noch verständlich: Sergej wollte mir damit sagen, dass ich auch auf der zweiten, unteren freien Liege schlafen kann, aber was bitte sollte der zweite Teil bedeuten? Naja, wir kamen trotzdem gut miteinander aus und Sergej machte sogar mein Bett. 

Er stieg irgendwann am späten Abend aus. Meine Hoffnung, das Abteil vielleicht für ein paar Stunden für mich alleine zu haben, wurde leider nicht erfüllt. Eine ältere Frau und ein Mann mit Tochter stiegen ein. Bevor sie hereinkamen, hatte ich allerdings die Möglichkeit, unbeobachtet zu probieren, auf die obere Liege zu klettern. 

Meinen Beobachtungen zufolge gibt es drei gängige Methoden. An manchen Betten gibt es kleine Metallstützen, auf die man die Füße setzen kann. Gab es hier aber nicht. Zweite Methode ist es, zuerst auf den Tisch zu steigen und von da aufs Bett. Das machen aber nur alte Leute. Dritte Variante: Man geht wie am Barren zwischen beiden oberen Liegen in den Stütz, stößt sich dann mit einem Arm ab und kommt auf dem gegenüberliegenden Bett – elegant aber dynamisch –  zum Sitzen. Das probierte ich aus und schaffte es gerade so. Minus elegant und dynamisch. Glück gehabt. 

Nächtlicher Halt in Mariinsk

Am frühen Morgen wurde ich von einer Schaffnerin aus dem Schlaf gerüttelt. Das gehört hier zum Service. Ansonsten hätte ich wahrscheinlich verschlafen. Ich musste im Anschluss die Frau auf der Liege unter mir wachrütteln. Diese wollte zwar nicht in Krasnojarsk aussteigen, lag aber auf meinem Gepäck, das im Kasten unter der Liege verstaut war.  

Ich hatte ihr am Abend zuvor gesagt/gestikuliert, dass ich in Krasnojarsk aussteige und dann mein Gepäck brauche. Was sie antwortete, verstand ich nicht, aber sie mimte etwas, das aussah wie jemanden wachrütteln. Sie wirkte am Morgen auch nicht erbost. 

In Krasnojarsk lachte mir gegen 6:40 Uhr der Morgen eines tollen Spätsommertages entgegen.

 

Bahnhof Krasnojarsk
Der Bahnhof von Krasnojarsk

Normalerweise sage ich mir immer, alles was länger als 2,5 Kilometer vom Bahnhof zum Hostel ist, fährst du mit dem ÖPNV. Wegen dem schweren Rucksack. Aber da es noch so früh am Morgen war, ich also keine Eile hatte, entschied ich mich dafür, die vier Kilometer zum Hostel diesmal zu laufen. Was wirklich sehr nett war. Denn es strahlte ja nicht nur die Sonne, sondern auf dem Weg gab es auch viele Bänke und einen schönen Park zum Verschnaufen. 

Im Gegensatz zu den letzten Unterkünften ist mein Hostel diesmal nicht nur gut beschildert, es liegt zudem an einer Straße und nicht in einem Hinterhof. Und wir haben unsere eigene Leninstatue vor dem Haus. Das ist bestimmt ein gutes Zeichen.

Ich hatte großes Glück und konnte bereits nach meiner Ankunft um 8 Uhr morgens mein Bett in Anspruch nehmen. Übrigens, das musste ich seit längerer Zeit mal wieder selbst beziehen. In Russland hat der Bezug für die Bettdecke nicht am kurzen Ende den Schlitz, sondern an der langen Seite. Und zwar nur einen kleinen in der Mitte. Ich habe überhaupt nicht verstanden, wie das funktionieren soll. Die Bettdecke und ich haben uns einen erbitterten Kampf geliefert. 

Wie nicht anders zu erwarten war, ist das Publikum auch hier wieder zu 95 Prozent Russisch. Die Räumlichkeiten sind sehr gemütlich. Das einzige, was mich stört, sind die ständig laufenden Fernseher. Irgendwie sind Fernseher in russischen Hostels wohl üblich. Das gab es in den Hostels in der EU nicht. 

Mein Tag war wieder eher organisatorischer Natur. Am Abend drehte ich aber noch eine kleine Runde. Ich wollte unter anderem zu einem Park mit kleinem Fluss in der Nähe. Jedenfalls hatte das auf meiner Karte nach idyllischem Park mit Fluss ausgesehen. In der Realität war das Ganze dann doch nicht das von mir gewünschte Naherholungsgebiet.

Insgesamt gefällt mir Krasnojarsk bislang aber sehr gut. Nicht weil es eine Schönheit ist, sondern wieder eher so vom Gefühl. 

Was ich heute gemacht habe, erzähle ich euch beim nächsten Mal. Ich habe die Fotos noch nicht gesichtet. Und nicht wundern, wenn ich mich jetzt vielleicht eine Woche nicht mehr melde. Ich breche übermorgen zum Baikalsee auf und bin mir nicht sicher, ob es dort Internet gibt.

Dieser Beitrag hat 10 Kommentare

  1. Andrea

    Hi Anne, danke für Deine drei Varianten für’s Obere-Liegen-Belegen – ich werde bestimmt mal wieder die Chance haben und mich dann an Dich erinnern *lach. Bestimmt werden mich dann meine Mitreisenden komplett verständnislos anschauen, wenn ich kichernd meine Turnübungen mache 🙂
    Bin gespannt auf Deine Bilder und den Bericht …. und ich bin ehrlich: Ich kann es kaum erwarten, Dich (hoffentlich bald) in der Mongolei zu sehen! <3

    1. Anne

      Das ist dann die Anne-Gedenk-Turnübung. Mach davon dann auf jeden Fall ein Foto:) Und jaa, die Mongolei ist schon ganz nah, nächste Woche um diese Zeit bin ich schon da, immer vorausgesetzt sie lassen mich rein.

      1. Andrea

        Warum sollten sie Dich nicht reinlassen? 😉

    2. Anne

      Naja, man weiß ja nie. Ich bin da immer etwas nervös.

  2. Rebekka

    Herzlichen Glückwunsch zum Turnabzeichen à la Transsib! 😉 Ich muss jedes mal lachen, wenn ich deine Sprachbarriere-Herausforderungen lese – köstlich! Aber Hände, Füße und der sehr verlässliche Google-Translator helfen doch immer weiter. Ach krass, jetzt also schon der Baikalsee. Ich bin so megagespannt was du zu erzählen hast, vor allem ob du noch was von den Konsequenzen der Überflutungen rund um Irkutsk mitbekommst. Hau rein, Weltreise-Kackbratze!

    1. Anne

      Ich bin auch sehr gespannt, was ich zu erzählen hab. Vor allem bin ich gespannt, ob ich überhaupt jemals an dem See ankomme. Ich weiß noch nicht genau, wie ich von Irkutsk aus dahin komme.

  3. Mama

    So, jetzt bin ich endlich wieder auf dem Laufenden.
    Wie verpflegst du dich eigentlich auf den langen Zugfahrten? Bordbistro? Frischeiwaffeln?

    1. Anne

      Ne, Frischeiwaffeln hab ich hier leider doch keine gefunden und im Bordrestaurant war ich auch noch nie. Ich schmiere mir Brote und nehme Kekse mit. Ich schleppe auch bereits seit Moskau einen Topf Instantnudeln mit mir rum, habe sie bislang aber nicht gegessen.

  4. Marie

    Liebe Anne,
    Kurz gesagt: einfach herrlich. Dein Blog Eintrag hat mich wieder in höchstem Maße erheitert. Vielen Dank dafür. Ich kann mir bildlich vorstellen wie du dich beim Aufschwung auf die obere Liege verhalten hast 🙂 Spontan kam mir die Assoziation mit einem Pepe Film, der in dem die Lehrer sich in verschiedenen Sportarten üben 😀
    Ich wünsche dir weiterhin viel Spaß und eine schöne Zeit.

    1. Anne

      Oh jaaaa. Ich weiß genau, welche Szene du meinst. Und genau so, aber genau so, kannst du dir meine Turnübungen absolut vorstellen 😀 😀

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