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Fluss- und Seegeschichten

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  • Beitrags-Kategorie:Russland

Ich hatte in Krasnojarsk wirklich Pech mit dem Wetter. An meinem Ankunftstag schien noch die Sonne, am zweiten Tag regnete und gewitterte es durchgehend. In den Unwetterpausen schlich ich ab und zu nach draußen, in der Hoffnung, dass jetzt alles besser wird. Ich schaffte aber meistens nur eine Runde um den Block, bevor es wieder donnerte. Bei Gewitter mag ich nicht draußen sein.

Auch am zweiten Tag sah es nicht besser aus. Gegen Nachmittag hörte wenigstens das Gewitter auf, sodass ich mir die Regenjacke schnappte und einen Stadtrundgang im Schnelldurchlauf absolvierte.

Krasnojarsk fehlen vielleicht die ganz großen Highlights, trotzdem mochte ich die Stadt sehr gern, weil sie so freundlich wirkt. Es gibt viele grüne Ecken, überdurchschnittlich viele Parkbänke, ich bin an zwei Parks vorbeigekommen, in denen Schaukeln für Erwachsene hängen und es gibt sogar Palmen (s.o. letztes Bild). Sollte ich noch einmal nach Russland kommen, stünde die Stadt auf jeden Fall wieder auf meiner Liste. 

Am Abend war ich am Jenissei, dem Fluss, der durch Krasnojarsk fließt. Auch dort lässt es sich sehr schön spazieren.

Das Besondere: Man kann nicht nur am Jenissei entlanglaufen, sondern gewissermaßen auch auf dem Jenissei. Ich habe zur Abwechslung mal wieder ein kleines Video gemacht.

Dieser abendliche Ausflug tröstete mich ein wenig darüber hinweg, den Nationalpark nicht gesehen zu haben. 

Am nächsten Tag stand wieder Zugfahren an. Nach Irkutsk. 19 Stunden Fahrt. Noch eine Stunde Zeitverschiebung oben drauf. Inzwischen kommt mir der Zug wie ein wohlbekanntes Hostel vor, in das ich immer wieder zurückkehre. 

Diesmal begann die Fahrt allerdings mit einer Verwirrung um mein Kopfkissen. Das war nämlich bereits bezogen. Ich wollte den Bezug abmachen, weil ich dachte, mein Vorgänger hatte vergessen, das zu tun. Meine Unternehmungen stießen allerdings auf vehementes Kopfschütteln und Gestikulieren einer Mitreisenden. 

Zur Klärung der Situation schalteten sich immer mehr Fahrgäste mitsamt ihrer Google-Translate-Programme ein. Am Ende stellte sich heraus, dass in diesem Zug die Kopfkissen wohl zwei Bezüge bekommen. Als die Schaffnerin mir schließlich meinen zweiten Bezug brachte, nahm mir die Mitreisende zur Sicherheit mein Kissen gleich aus der Hand und bezog es für mich. Sie traute mir nach dem Erlebten wohl nicht mehr zu, das selbst hinzubekommen.

Damit war der aufregendste Teil der Fahrt abgehakt. Wir kamen früh morgens in Irkutsk an. Dort wollte ich aber gar nicht bleiben, sondern direkt weiter an den Baikalsee. Ich hatte vorher recherchiert, dass Minibusse vom Busbahnhof und Zentralmarkt an den See fahren und angeblich auch ein paar vom Bahnhof. Auf der Suche nach besagten Bussen wurde ich von Horden von Taxifahrern umlagert. 

Als ich endlich ein paar Minibusse fand, sprach mich ein älterer Herr an, ob ich an den Baikalsee will. Ich dachte zuerst, er ist ein Minibusfahrer und blieb deshalb stehen. Wie sich herausstellte, war aber auch er ein Taxifahrer. Als er mir den Preis für die Fahrt nannte, wurde ich schwach. Rund 20 Euro wollte er für die 70 Kilometer haben. In Anbetracht meines Gepäcks und der Abwesenheit von Minibussen stimmte ich zu und reiste also ganz dekadent mit dem Taxi zum Baikalsee. 

Wobei ich dazu sagen muss, das war kein offizielles Taxi. In Russland verdienen sich viele Leute ein Taschengeld dazu, indem sie mit ihren Privatautos Fahrten anbieten. Der ältere Herr bessert sich damit wahrscheinlich seine Rente auf. Das kann man ruhig unterstützen. Sein Auto hat zwar sicherlich schon bessere Zeiten gesehen, aber die Fahrt war angenehm.

Zielort am Baikalsee war Listwjanka. Ich bat meinen Fahrer, mich am See herauszulassen, damit ich die restliche Strecke zum Hostel laufen kann. Zum Glück, muss ich im Nachhinein sagen. Die Straße verwandelte sich irgendwann in eine Buckelpiste, die man am besten nur mit Allrad befahren sollte. Zu Fuß war der Weg aber kein Problem, wenn auch permanent ansteigend.

Nach rund 25 Minuten kam das Hostel in Sicht. Ich war gleich begeistert. Nach den ganzen Städten der vergangenen Wochen eine willkommene Abwechslung. Mitten in der Natur liegt es, schon fast im Wald, wie man am Blick aus meinem Schlafsaalzimmer sieht. 

Ich musste noch ein wenig warten, bis mein Zimmer fertig war. Das war aber gar kein Problem, denn gleich nach der Ankunft traf ich meine neue Freundin Druga. Druga ist eine Streunerin, aber sehr zutraulich. Sie hat sich das Hostel als Erstwohnsitz ausgeguckt und wird wohl hier auch ab und zu gefüttert. Einen Namen hat sie laut Hostelmitarbeiter nicht. Deshalb nenne ich sie nun eben Druga (von Russisch „Padruga = Freundin“). Sie blieb bei mir, während ich auf das Zimmer wartete.

Am Nachmittag war ich noch einmal kurz unten im Dorf um mich im Supermarkt mit Lebensmitteln zu versorgen. Es gibt hier mehrere Tante-Emma-Läden. Die Waren liegen alle hinter der Theke, sodass man sie vom Verkäufer verlangen muss. Das ist ohne Sprachkenntnisse etwas langwierig. Aber irgendwie klappt es dann doch immer. 

Am Abend wollte ich noch einen kleinen Spaziergang durch den Wald machen, hatte aber auch ziemlich Angst. Hier gibt es ganz viele freilaufende Hunde. Und vor großen, freilaufenden Hunden, die ich nicht kenne, ist mir immer etwas mulmig. Die Streuner sind meistens ok, aber die Hofhunde kommen mir sehr aggressiv vor. Das Hostel warnt sogar vor ihnen. Ich bin dann trotzdem los. Druga begleitete mich am Anfang, überlegte es sich dann aber anders. Schisserin. Bei mir wurde es aber auch nur eine kurze Tour, weil das Bellen aus der Ferne immer näher kam.

An meinem zweiten Tag schaute ich mir Listwjanka genauer an. Listwjanka ist eigentlich ein kleines Dorf mit rund 1.800 Einwohnern. Es wird jedoch zunehmend vom Tourismus erobert, da es von Irkutsk aus der erste Ort des Baikalsees und damit verkehrstechnisch sehr gut angeschlossen ist. Es gibt eine Hauptstraße entlang des Sees, an dem viele Hotels, Restaurants, Souvenirgeschäfte, Tourbüros liegen. Von der Hauptstraße zwacken dann noch ein paar Straßen in Seitentäler und ins Hinterland ab. Hier ein paar Fotos vom Dorf. 

Natürlich habe ich während meiner Tour auch ausgiebig den Baikalsee bewundert. Er ist der tiefste und älteste Süßwassersee der Welt und hat eine Uferlänge von mehr als 2.000 Kilometern. Unfassbar, dass dieser riesige See im Winter zufriert. 

Der nächste Tag begann für mich schon um fünf Uhr morgens. Ich hatte nämlich eine Tour zur Insel Olchon gebucht. Im Aufenthaltsraum begrüßte mich eine verschlafene Druga, die auf dem Sofa genächtigt hatte. Keine Ahnung, ob sie dafür eine offizielle Aufenthaltsberechtigung hatte. Druga beschloss bei meinem Anblick, dass sie nun bereit fürs Frühstück ist. Ich hatte vorgesorgt und bereits nach meiner Ankunft etwas Katzenfutter besorgt.

Um kurz nach sechs wurde ich vom Tourbus abgeholt. Der fuhr uns erst einmal nach Irkutsk, wo wir auf unseren Reiseführer Wadim trafen. Wir waren acht Leute, außer mir alles Russen. Die Tour ist wohl eigentlich nicht für internationale Touristen gedacht, jedenfalls war Wadim etwas verunsichert, was er mit mir anfangen soll. Er entschuldigte sich mehrfach für sein schlechtes Englisch, gab sich aber im Laufe des Tages Mühe, mir das Gröbste zu übersetzen, was er auch gar nicht schlecht machte. 

Die Tour begann mit einer Vorstellungsrunde. Das war meine Sternstunde. Jeder, der schon einmal eine Fremdsprache gelernt hat, weiß, dass man als Allererstes lernt, sich vorzustellen. Meine russischen Mitreisenden waren sehr von mir entzückt. Der Stern verglühte aber schnell. Während Wadim mit uns eine frühmorgendliche Runde durch Irkutsk drehte, verstand ich nur Bahnhof und fragte mich insgeheim, ob ich die falsche Tour gebucht hatte. Ich wollte doch auf die Insel Olchon. 

Die Runde war aber recht kurz, dann ging es wieder in den Bus und wir machten uns auf den Weg zur Insel. Die Fahrt dauerte rund zwei Stunden und war aufgrund der alle zwei Meter auftauchenden kraterartigen Schlaglöcher nicht komplett gemütlich.

Am Fähranleger verabschiedeten wir uns von unserem Fahrer und gingen zu Fuß aufs Schiff. Während der Überfahrt begleiteten uns viele Möwen, die sich über das Essen freuten, das ihnen von Passagieren zugeworfen wurde und das manche gleich in der Luft fingen. Ich verbrachte die Überfahrt damit, mich in Tierfotografie zu versuchen. Ein paar Schnappschüsse sind dabei entstanden.

Olchon ist zwar rund 70 Kilometer lang und über zehn Kilometer breit, es leben trotzdem nur rund 1.600 Menschen dort. Etwa 1.300 davon leben in der Siedlung Chuschir. Ihr könnt euch also vorstellen, wie leer die Insel wirkt. Das wurde bereits bei der Ankunft deutlich. Gleich am Fähranleger standen dreieinhalb Holzhütten, in denen es Kaffee und Souvenirs gab. Dahinter begann das Nichts.

Auf der Insel gibt es keinerlei befestigte Straßen, wer Allrad hat, ist hier klar im Vorteil. Wir bewegten uns in einem alten sowjetischen UAZ-Kleinbus über die Insel, geschätzt war der 80 Jahre alt, aber er tat seine Sache gut. 

Zuerst fuhren wir zur Siedlung Chuschir. Ich bewunderte unseren Fahrer sehr, wie er den Weg dorthin fand. Es gibt ja nicht nur keine befestigten Straßen, sondern auch keine Schilder oder markanten Punkte in der Landschaft. Alles sieht gleich aus, gleich karg. Fantastisch. 

Die Siedlung Chuschir

Gleich neben Chuschir ist die bekannteste Sehenswürdigkeit der Insel zu finden, der Schamanenfelsen. Olchon ist das Zentrum des Schamanismus in Russland. Der Felsen gilt als heiliger Ort. Wenn man ihn besuchen will, soll man eine Gabe mitbringen. Am Eingang zum Felsengelände stehen deshalb hohe Säulen, um die die Besucher bunte Bänder binden. 

Im Anschluss gab es Mittagessen. Große Katastrophe. Gemüsesuppe mit warmen Gurken drin. Gurken sind ein Kaltgemüse. Man macht sie nicht warm! Irgendwie bekam ich es runter. 

Die Suppe wurde bei der anschließenden Fahrt im UAZ-Gefährt in meinem Magen kräftig durchgeschüttelt. Wir fuhren mehrere tolle Aussichtspunkte an, waren an einem Strand, wo Wadim und eine Frau aus der Reisegruppe sogar baden gingen und unternahmen eine kleine Klettertour auf einen Steinfelsen. Ich habe ein kleines Video von der Fahrt über die Insel gemacht, damit ihr euch etwas besser vorstellen könnt, wie es dort aussieht. 

Am Abend nahmen wir die Fähre zurück aufs Festland und wurden dort von unserem ersten Busfahrer wieder in Empfang genommen. Zum Abendessen hielten wir mitten im Nirgendwo an einem Restaurant am Straßenrand. Das ist hier ein bisschen so wie in den USA, wo mitten in der Wüste auf einmal ein Diner auftaucht. Bei der Vorspeise musste ich wieder die Zähne zusammenbeißen. Wieder Suppe. Diesmal braun. Die Brühe war recht würzig, aber natürlich ganz viel Gemüse. Unidentifizierbar. Der Hauptgang war dafür sehr lecker. Es gab so eine Art Riesenpelmeni. Und zum Nachtisch Bliny. Juhu.

Gegen kurz vor Mitternacht war ich wieder im Hostel. Es war echt ein toller Tag. Zum einen war ich von der Landschaft auf der Insel total begeistert. Sollte ich jemals wieder an den Baikalsee kommen, werde ich dort übernachten. Und auch meine Reisegruppe war super. Zwar habe ich wenig bis gar nichts verstanden, aber es war irgendwie cool mit einer russischen Gruppe unterwegs zu sein. Da hab ich mich gleich ein bisschen weniger touristisch gefühlt. Außerdem waren alle sehr nett zu mir. Zwei Mitreisende schenkten mir zum Abschied eine Postkarte, auf die sie weitere Reisetipps für Russland geschrieben hatten. Da war ich ganz gerührt. 

Und da der Bericht jetzt schon alle Dimensionen sprengt, fasse ich den heutigen Tag mit einem Satz zusammen: Ich habe ausgeschlafen, war dann am See um zum Abschied noch einmal das tolle Sommerwetter zu genießen und verbrachte den sonnigen Abend mit Druga im Hof. Auf Wiedersehen Baikalsee.

Dieser Beitrag hat 9 Kommentare

  1. Andrea

    Aaaah… was für geniale Tage Du hast!!! Langsam werde ich aber so RICHTIG neidisch…. (ich gestehe: Ich bin im Urlaub eher der Natur- und nicht der Stadtmensch…) … und darum freue ich mich so sehr auf Deine nächsten Reiseberichte! 🙂
    Was für schöne Häuslen es in Listwjankat gibt… und bei Deiner Crossroadfahrt ist ja schon fast die Brezel in meinem Magen nach oben gehüft. *lach – Olchon ist ganz nach meinem Geschmack.
    Anne… weiter so!!!

    1. Andrea

      … und ich freue mich sehr, dass man Dich reingelassen hat! Willkommen in Deinem 9. Land!!!!*tuschundkonfettifliegt

      1. Anne

        Danke 😀 Ich war schon sehr erleichtert, dass alles reibungslos bei der Einreise geklappt hat. Und ich mag Natur auch mehr als Stadt. Deswegen waren Olchon und der Baikalsee für mich auch ein absolutes Highlight 🙂

  2. Peggy Schneider

    Du hattest es uns ja angekündigt,dass der nächste Reisebericht etwas auf sich warten lässt. Nun ist er da……👏👏👏gefüllt mit vielen fantastischen Bildern und zwei netten Videos,mit denen du uns auf deiner,manchmal abenteuerlichen ,Reise teilhaben lässt. Anne, wir wünschen dir weiterhin alles Gute und traumhafte Erlebnisse. Pass auf dich auf!!! Liebe Grüße aus der Ferne……Peggy und Familie.

    1. Anne

      Hallo Peggy, ich freue mich ja immer, wenn auch die Videos auf Anklang stoßen. Das ist für mich auch immer eine schöne Abwechslung 🙂

  3. Rebekka

    Ach, du bist also im Ruhestand? 😉 Sehr toller Bericht. Wie du dich todesmutig den Mücken und gruseligen anderen Tieren gestellt hast. Aber jetzt mal ernsthaft – die Bilder vom Baiksalsee sind ja der Hammer. Ich kann’s jetzt schon kaum erwarten, vor allem, weil ich im Februar dann auch auf der Insel sein werde. Das was du beschreibst, macht auf jeden Fall sehr viel Lust darauf. Genieß die letzten Stunden am See!

    1. Anne

      Wie gesagt, ich bin schon soo gespannt auf deine Eindrücke und Fotos. Ich kann mir das gar nicht vorstellen, wie es da im Winter ist. Du wirst wahrscheinlich eine ganz andere Welt sehen als ich 😀

  4. Oma & Opa

    ! ! ! Danke für Deine Mühe, uns virtuell Mitreisenden so köstlich teilhaben zu lassen. Deine Reiseberichte, vor allem die beigefügten Bilder verstärken noch diesen Eindruck. Das Video am Jenissei, aber besonders auch die Fahrt über die Insel vermitteln uns dieses Gefühl direkt dabei zu sein. Und das alles ohne Verständigungsprobleme.
    Liebe Anne, nun bist Du schon zwei Monate auf Deiner großen Reise und der Horizont immer noch in weiter Ferne.
    Toi,toi, toi und weiter schöne Erlebnisse und interessante Begegnungen auf Deinem Wege.

    1. Anne

      Unfassbar, oder? Dass es schon zwei Monate sind. Die Zeit geht eindeutig viel zu schnell vorbei 🙁

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