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Sonnenschein in Sibirien

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  • Beitrags-Kategorie:Russland

Die Erdkundefans können micht letzt auslachen und sagen, dass Jekaterinburg doch gar nicht zu Sibirien gehört. Darüber lässt sich streiten, aber ist mir auch egal. Ich fand den Titel gut. Und seit Jekaterinburg begleitet mich tatsächlich der Sonnenschein. Auch hier in Nowosibirsk ist es im Moment wärmer als zuletzt in Sankt Petersburg und Moskau (und das liegt eindeutig in Sibirien).

Von dem schönen Wetter hatte ich zu Beginn meines ersten Tages in Jekaterinburg allerdings nicht so viel. Ich wachte morgens auf und mir war total übel. Wahrscheinlich habe ich das leckere Essen in dem italienischen Restaurant am Vorabend nicht so gut vertragen. Ich blieb erstmal im Bett liegen, gegen Mittag wurde es besser und ich konnte meinen Tag angehen.

Ich zeige euch aber schnell noch mein Hostel, bevor wir auf Stadtrundgang gehen. Hier: Nix und gar nix weist daraufhin, dass hier ein Hostel versteckt ist. Auf dem zweiten Foto hinten rechts in der Ecke ist die hölzerne Eingangstür.

 

Die Stadt hatte bei meinem Marsch vom Bahnhof zum Hostel nicht so sonderlich einladend ausgesehen, aber ich wurde bei meinem Spaziergang sehr positiv überrascht. 

Als Hauptsehenswürdigkeit in Jekaterinburg gilt heutzutage die Kathedrale auf dem Blut. Sie ist erst etwas mehr als 15 Jahre alt und wurde an der Stelle gebaut, wo der letzte russische Zar Nikolaus II. und seine Familie 1918 im Zuge der Revolution getötet wurden. Früher stand dort ein Haus, in dem die Familie zunächst festgehalten worden war. Das Haus wurde im Auftrag des damaligen Jekaterinburger Parteisekretärs Boris Jelzin in den Siebziger Jahren abgerissen.

Kathedrale auf dem Blut in Jekaterinburg

Die Kathedrale liegt an der roten Linie, das ist eine Markierung auf dem Gehweg, die quer durch die Innenstadt an den interessantesten Sehenswürdigkeiten vorbeiführt. Dieser Linie bin ich natürlich gefolgt, weil ich das sehr praktisch fand. Nicht alle dieser „Sehenswürdigkeiten“ hauten mich vom Hocker. Viele waren irgendwelche Wohnhäuser von Leuten, von denen ich noch nie gehört hatte. Irgendwelche Stadtväter. Aber ich bin auch an vielen schönen Ecken vorbeigekommen.

Die Fußgängerzone fand ich besonders gut. So richtig wie man das kennt, ohne tausend Autos mit Sondergenehmigung, dafür mit Geschäften links und rechts. Das habe ich das letzte Mal in Budapest gesehen, glaube ich. 

Mitten im Stadtzentrum liegt ein kleiner See. Der hat eine Promenade, an der man auch spazieren kann. Außerdem bin ich an einem Kanal und an einem langen Wasserspiel vorbeigekommen. Also viele Möglichkeiten zum Schlendern.

Die rote Linie hat mich auch an vielen Denkmälern vorbeigeführt. Manchmal wusste ich nicht recht, was der/die/das Gedenkmälerte mit Jekaterinburg zu tun hat. Aber es muss ja auch nicht immer Sinn hinter allem stecken.

Insgesamt gefiel mir die Stadt sehr gut, auch wenn Jekaterinburg nicht das typische Touristenziel ist. Mir kommt es so vor, als ob es so gut wie gar keinen internationalen Tourismus gibt. Ich habe einmal auf der Straße Leute Englisch sprechen hören, einmal bin ich an einer englischen Stadtführung mit zwei Teilnehmern vorbeigekommen und in meinem Hostel hat einen Tag nach mir ein Italiener eingecheckt. Das war es. Auch fast alle Erklärschilder an Museen oder anderen Sehenswürdigkeiten sind nur auf Russisch. 

Was es in Jekaterinburg natürlich auch gibt, sind Wohnblöcke aus der Sowjetzeit. Ich liebe sie. Hier mal ein paar Eindrücke. Mein liebstes Bild ist das Letzte. Der Pavillon auf dem See wird im Internet als eines der Highlights von Jekaterinburg angepriesen. Und dazu dann dieser Hintergrund. Herrlich.

Ich hatte an diesem Nachmittag leider auch ein schlimmes Erlebnis. Ich habe zum ersten Mal einen Autounfall ansehen müssen. Ein Fußgänger wurde von einem Auto frontal erwischt. Ich dachte am Anfang, der Mann ist tot. Ich lief weiter, weil ich nicht gaffen wollte und genug Helfer vor Ort waren. Aber die Sache ließ mir keine Ruhe und ich ging nochmal zurück. Da stand der Mann wieder auf eigenen Beinen. Ich war sehr erleichtert. 

Trotzdem war ich für den Rest des Tages etwas zittrig, wenn ich eine Straße überqueren musste. (Ich glaube allerdings, dass der Mann bei Rot über die Straße gelaufen ist. Also es ist nicht so, dass die russischen Autofahrer generell mal Fußgänger umfahren. Sie warten sogar an Zebrastreifen.)

Als ich zurück im Hostel war, fragte mich meine Gastgeberin (möglicherweise), was ich tagsüber gemacht habe. Ich auf Russisch: „Ich war im Zentrum. Rot. (Ich male mit dem Finger eine Linie auf den Boden.) Meine Gastgeberin verstand, was ich meinte. Mit dem Italiener redete sie übrigens etwas Englisch, bekam ich am Rande mit. Soll ich mich jetzt geehrt fühlen, dass sie es bei mir immer wieder mit Russisch versuchte?

An meinem zweiten Tag in Jekaterinburg bin ich Elektritschka gefahren. Das war klasse. Elektritschka ist in Russland der inoffizielle Begriff für die Vorortzüge und ich habe viel Unterhaltsames darüber gelesen. Mein Ziel war Werschina. 

Ich habe im letzten Bericht erwähnt, dass ich auf der Zugfahrt von Moskau nach Jekaterinburg leider die Europa-Asien-Säule verpasst hatte, die die Grenze zwischen Europa und Asien anzeigt. Aber wie ich jetzt bei der Recherche erfuhr, gibt es gar keine Europa-Asien-Säule auf der Strecke, die ich gefahren bin. Wie aber andere Leute vor mir herausfanden, erreicht man eine der Europa-Asien-Säulen, wenn man mit der Elektritschka nach Werschina fährt. 

Ich lief also am Vormittag zum Bahnhof und zog mir ein Ticket am Automaten, der zum Glück auch Englisch konnte. Mein Ticket war dann leider aber auch auf Englisch. Da runzelte die Schaffnerin im Zug erstmal eine Weile mit der Stirn, ließ es dann aber durchgehen. Hat sie wohl nicht so häufig.

Die Fahrt war in etwa das, was ich mir unter einer Kaffeefahrt vorstelle. Bevor der Zug losfährt, preisen fliegende Händler irgendwelche Wunderwaren im Zug an. In meinem Waggon war ein Verkäufer mit Mikrofon, der einen Wunderhandschuh vorstellte. Was diesen Handschuh im Einzelnen so wunderbar macht, habe ich leider nicht verstanden. Eine ältere Dame lief mit großen Beuteln voller Süßigkeiten rum. Drei große Beutel Snickers für 1,30 Euro. Ich frag mich, wo sie die Ware her hat.

Und als der Zug sich dann in Bewegung setzte, verschönerte uns ein russischer Volksmusiksänger die Fahrt. Ich habe mal die Kamera mitlaufen lassen, allerdings wollte ich nicht komplett draufhalten. 

Die Schneckentempofahrt dauerte rund eine Stunde. Schließlich stieg ich im Nirgendwo aus. Der Bahnsteig ist so kurz, dass nicht mal der ganze Zug dranpasst und manche Leute auf dem Gleisbett aussteigen müssen. 

Auf dem zweiten Foto könnt ihr rechts im Hintergrund schon die Europa-Asien-Säule sehen. Es waren also nur ein paar Schritte. Als ich an der Säule ankam, saßen dort zwei ältere Russen, die mich natürlich auch prompt ansprachen. Die meisten Russen sind leider sehr kommunikativ. Oder vielleicht sah ich auch einfach nur wie ein Fremdkörper in dieser Einöde aus. Ich glaube, sie fragten mich, wohin ich will und ich gestikulierte zuerst, dass ich die Säule fotografieren will. Dann ich auf Russisch: „Sie machen Foto ich?“ Hat geklappt.

Leider versuchten die beiden im Anschluss weiter mit mir Konversation zu betreiben und ich verstand überhaupt nichts, bis sie mich fragten woher ich komme. Nachdem ich sagte, dass ich aus Deutschland bin, wurde die Sache noch unangenehmer, weil ich glaube, dass die Frau mir danach etwas in Deutsch antwortete, was ich aber auch nicht verstand. Unter vielen „Danke, Verzeihung, Auf Wiedersehen“ verabschiedete ich mich und wartete am Bahnsteig, bis mich der nächste Zug abholte.

Die abendliche Frage meiner Gastgeberin, wo ich tagsüber war, beantwortete ich diesmal mit: „Elektritschka. Werschina. Europa. Asien.“ Meiner Meinung nach verstand sie das wieder. Grammatikalische Strukturen werden überbewertet.

Gestern Mittag trat ich meine inzwischen dritte Zugfahrt mit der Russischen Eisenbahn an. Von Jekaterinburg nach Nowosibirsk. 1600 Kilometer. 22 Stunden. Zwei Stunden Zeitverschiebung. Aber inzwischen bin auch ich Profi. Ich weiß, welche Sachen ich im Zug brauche, wo der Pausenplan hängt und wie die Betten bezogen werden. 

Ein letzter Blick aus dem Fenster in Jekaterinburg

Meine Bettnachbarn waren diesmal ein älteres russisches Ehepaar, die auch nach Nowosibirsk wollten und wechselnde, alleinreisende Männer. Wir blieben alle eher für uns, sodass es von der Fahrt nichts weiter Spannendes zu berichten gibt. Gegen 12 Uhr war ich heute in Nowosibirsk und verpasste es leider, ein besseres Foto von dem sehr farbenfrohen Bahnhof zu machen. 

Den Nachmittag verbrachte ich damit, an meiner Reise durch die Mongolei herumzuplanen, die ja langsam auch schon in greifbare Nähe rückt. Am Abend war ich nur mal kurz im Stadtzentrum um mir einen ersten Einblick von Nowosibirsk zu verschaffen. Bislang hält die Stadt das, was mir andere Reisende und aus Nowosibirsk stammende Menschen versprochen haben: Sie wirkt nicht besonders spannend. 

Dieser Beitrag hat 11 Kommentare

  1. Die Kuhsine

    Ich muss gestehen, dass ich ehemals kommunistische Länder immer als etwas rückständig betrachtet habe. Aber jetzt, wo ich sehe, dass man in Russland den Siegeszug der Touch-Displays wohl schon lange vorhergesehen und der guten alten Computer-Tastatur ein Denkmal gesetzt hat, revidiere ich meine Meinung 🙂

    1. Anne

      Sehr interessante Interpretation 😀 So wird es wohl sein

  2. Oma & Opa

    Oje, die Entfernung wird immer größer. Ein Glück, dass man das bei der elektronischen Kommunikation nicht merkt und wir wollen doch hoffen, dass es auch so bleibt. Ja Anne, es ist schon bewundernswert wie Du mit dem russischen Gewusel
    zurecht kommst. Ein Glück, dass es überall auch nette und hilfsbereite Menschen gibt. Toi,toi, toi wir drücken Dir weiter fest die Daumen und bleiben wie immer …. schön neugierig.

    1. Anne

      Ja, es gibt wirklich sehr viele sehr nette Menschen hier. Das macht die Sache einfacher 😀

  3. Rebekka

    Das Ähm hab ich in der Wave-Welle natürlich sofort erkannt. Bin ein Fan des Tastatur-Denkmals. Wer kommt auf sowas? Und der Schlager – hat ja fast zu nem Tänzchen eingeladen.,. 😉 Du bist in Nowosibirsk – darüber haben wir in meiner Satirephase immer Witze gemacht. Viel Spaß beim Planen für Mongolia!

    1. Anne

      Ich habe keine Ahnung, was die Tastatur da zu suchen hat 🙂 Tanzen wollte ich in der Bahn nicht, ich glaube, das ist nicht so üblich 😀

  4. Andrea

    Mensch Anne, Deine Russischkenntnisse beeindrucken mich wirklich! Es ist schön (und es macht stolz) wenn man verstanden wird. Weiter so! – Der Zugschlagersänger war große Klasse!!! Ich hatte mir die Kopfhörer auf die Lauscher gesetzt und dabei Deinen tollen Reisebericht gelesen und die Bilder angeschaut. Echt – ich spürte in mir drinnen ein leises Russlandfeeling.

    1. Anne

      Super, Andrea, genau dieses Feeling wollte ich mit dem Video rüberbringen 😀 Das hab ich nämlich auch total gespürt, als wir da in dem Zug vor uns hergetuckelt sind, der Wind sanft durchs offene Fenster wehte, dann das ganze russische Geplapper um mich herum und als I-Tüpfelchen der Sänger. Das war einer der coolsten Momente meiner Reise bislang. Auch wenn es nichts krass Spektakuläres war.

      1. Anonymous

        Anne, das kann ich ja sowas von nachempfinden! 🙂 … solche Empfindungen sind für mich ein Teil des Ankommens in einem Land. Sowas wie das erste Verliebtsein… auf russisch 😉

        1. Andrea

          Upps…hab vor lauter Emotionen meinem Namen vergessen 😉

          1. Anne

            Ist ja schön, dass du von meinem Blog emotional ergriffen bist 😀

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