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Die Busfahrt von Taupo nach Wellington am Montag dauerte rund sechs Stunden. Was sah ich dabei für schöne Landschaften. Um den halben Lake Taupo fuhren wir, dann durch den Tongariro Nationalpark. Der Mount Ruapehu – der höchste Berg der Nordinsel – in der Ferne im Nebel versunken. Die wunderbaren, braunen Tussocklandschaften. Weiter im Süden führt die Straße ganz nah an die Tasmanische See. Eine Reise im Zeitraffer. Nirgendwo aussteigen, nirgendwo verweilen. Nur Bilder aus dem Busfenster.

Und nun gibt es nichtmal mehr das. Ich entschuldige mich für die leserunfreundliche Textwüste die nun folgt, aber Fotomotive waren in den vergangenen Tagen rar.

Nach vier Stunden Fahrt erreichte mich eine Eilmeldung: Neuseeland werde sich in 48 Stunden in den Lockdown begeben. Für vier Wochen. Dann gehe nichts mehr. Die Menschen dürften nur noch zum Einkaufen und Luftschnappen vor die Tür, alle nichtessenziellen Arbeiten würden eingestellt, genauso wie das Transportwesen. 

Was nun? Da saß ich gerade im (übrigens fast leeren) Bus von Taupo nach Wellington und merkte, dass ich dringend so schnell wie möglich zurück nach Auckland sollte, um im Fall der Fälle in der Nähe des „Rückholflughafens“ zu sein.

Oder für die, die mit der neuseeländischen Geografie nicht so vertraut sind: Da saß ich gerade im Bus von Frankfurt nach München und merkte, dass ich dringend so schnell wie möglich zurück nach Hamburg sollte, um im Fall der Fälle in der Nähe des „Rückholflughafens“ zu sein.

Die Botschaft hatte ja bereits bekanntgegeben, dass die Rückholflüge nur von Auckland und Christchurch starten würden, nicht von Wellington. Ich wusste zwar immer noch nicht, wann diese Flüge kommen würden und ob ich sie überhaupt in Anspruch nehmen wollte. Aber um mir alle Optionen offen zu halten, wäre Auckland die bessere Basis um die Entwicklungen abzuwarten. Im schlimmsten Fall hätte ich dann einen Flug und käme aus Wellington nicht weg. 

Ich buchte deshalb noch aus dem Bus heraus vorsichtshalber ein Ticket zurück nach Auckland für den nächsten Morgen. Danach versuchte ich für einen mitreisenden Engländer herauszufinden, ob seine Fähre auf die Südinsel denn noch gehen würde. Der Herr war 85 Jahre alt, erzählte mir, dass er vor einer Woche zum ersten Mal von Corona gehört hatte und jetzt Angst habe, dass ihn sein Altenheim in England nicht mehr aufnehme. Dass er seinen Rückflug über Singapur vergessen könne, musste ich ihm dann leider auch noch mitteilen.

Als wir am Abend endlich in Wellington ankamen, hechelte ich mit meinem Gepäckberg, so schnell mich meine Beine trugen, die zwei Kilometer ins Hostel, um mit den anderen per Telefon Krisengespräche einzuleiten. Für Fotos blieb da keine Zeit, deshalb schummele ich hier. Ihr seht ein Archivbild von meinem letzten Wellingtonaufenthalt 2017. Aber ich versichere euch, sieht alles noch genauso aus. 

 

Als ich am Hostel ankam, durfte ich erstmal das Gebäude gar nicht betreten. Eine Mitarbeiterin kam nach draußen, behandelte mich wie das personifizierte Coronavirus und entspannte sich erst, als ich ihr den Einreisestempel in meinem Pass zeigte. Der zweite Mitarbeiter begrüßte mich an der Rezeption mit der Frage, ob ich denn nun gleich für vier Wochen einchecken wolle. 

Denn vier Wochen Lockdown bedeutet natürlich auch, dass du an einem Ort bleiben musst. Wer sich also dazu entschließt, zu Beginn des Lockdowns in einem Hostel zu wohnen, darf nach dem Start des Lockdowns nicht mehr ausziehen, sondern muss die ganze Zeit dort verbringen. Ausnahme nur, wenn man einen Rückflug hat.

Jetzt war ich wieder zwiegespalten: Im Hostel in Wellington wurde mir ein sicherer Lockdownplatz garantiert. Vielleicht würde ich in Auckland nichts Vergleichbares finden. Sollte ich also doch in Wellington bleiben? Könnte ich im Notfall mit einem Mietwagen zum Flughafen nach Auckland fahren?

Ich sicherte der Rezeption zu, binnen einer Stunde Bescheid zu geben ob ich bleiben, oder am nächsten Morgen auschecken wolle. Höchste Zeit für den Krisenrat. Kilian und Paula waren noch im Hostel in Auckland und versicherten uns nach Rücksprache mit der Rezeption, dass dort auch ein Platz für mich frei wäre. 

Pascal und Susan turnten noch im Norden der Insel herum, entschlossen sich nun aber schleunigst nach Wellington zu kommen um dort den Lockdown bei Bekannten auszusitzen. Anfangs freute ich mich darüber, bis mir klar wurde, dass ich die beiden eh nicht hätte treffen dürfen. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt das Prinzip von Lockdown noch nicht so richtig verinnerlicht.

Blieb die Frage, was Anja macht. Die saß immer noch in Taupo, wollte da jetzt aber so schnell wie möglich weg. Sollte sie nun nach Wellington zu mir kommen oder sollten wir beide zurück nach Auckland fahren? Eine Nachfrage bei mir im Hostel in Wellington nahm uns die Entscheidung ab: Dort konnte man Anja nicht mit Sicherheit einen Platz zusichern. Also ab zurück nach Auckland.

Meinen kleinen Abstecher nach Wellington hätte ich mir also komplett sparen können. Elf Stunden Busfahrt standen mir am nächsten Tag bevor. Elf Stunden in einem proppevollen Bus, denn natürlich hatten alle anderen Reisenden in Neuseeland den gleichen Gedankengang wie ich. Zum Glück fand ich mit Steffi aus Thüringen eine sehr nette Sitznachbarin.

Als ich abends um 21 Uhr endlich wieder in meinem alten Hostel in Auckland ankam, wurde ich von Paula, Kilian, Anja und einem herrlichen Erbsenrisotto begrüßt. Ich musste mich nur noch an den gedeckten Tisch setzen. In unserem neuen Zimmer waren auch Lena und Moritz untergebracht, die wir natürlich gleich in unseren deutschen Stammtisch integrierten. 

Am nächsten Tag bereiteten wir uns auf den Lockdown vor und machten Großeinkauf im Supermarkt. Auch da schon lange Schlangen.

 

Irgendwann im Laufe des Tages kam auch die Nachricht, dass der erste Rückholflug von Lufthansa am Samstag aus Auckland abfliegen würde. Weitere Flüge, durchgeführt von Air New Zealand, sollten folgen. 12.000 Deutsche befänden sich noch in Neuseeland. 

Gestern baten die Hostelmitarbeiter alle übriggebliebenen Gäste zur Lagebesprechung. Wir sind hier aktuell noch etwa 40 Leute. Da ging es dann natürlich vor allem um Hygiene- und Lockdownbestimmungen. Und es wurde noch einmal klargemacht: Neue Gäste dürfen seit Beginn des Lockdowns nicht mehr in das Hostel einziehen. Bestandsgäste dürfen nur ausziehen, wenn sie ein Flugticket vorweisen können.

Ansonsten haben wir uns hier bislang gut mit der Situation arrangiert. Wir sind natürlich alle ziemlich faul, warum auch nicht. Nach dem Frühstück erstmal einen Mittagsschlaf. So ungefähr. 

Heute morgen haben Paula, Anja und ich Yoga gemacht. Ich war ja dafür, ein gesellschaftskritisches Theaterstück einzustudieren. Oder „Geh aufs Ganze“-Folgen nachzustellen. (Marie, weißte noch?) Dafür konnte ich die anderen bislang nicht gewinnen. Aber Moritz meinte, morgen wäre er dabei. 

Die neuseeländische Premierministerin teilte gestern mit, dass die deutsche Rückholaktion vorerst gestoppt ist. Es gäbe Gesundheitsbedenken, wenn nun auf einmal Tausende Deutsche zum Flughafen reisen. Es müsse erst ein Durchführungsplan erarbeitet werden. Aktueller Stand: Vor dem 31.03. wird es keine weiteren Rückholflüge geben.

Und nun noch zu meiner aktuellen Gefühlslage: Ich habe in den letzten Tagen mit mir gerungen, hin- und herüberlegt, mir Rat geholt, mit den anderen hier stundenlang diskutiert, Facebookgruppen studiert und bin nun zu einer Entscheidung gekommen, mit der ich leben kann. Ich werde mit den Rückholflügen nach Deutschland zurückkommen. 

Aber: Ich werde meine Reise nicht abbrechen. Ich werde eine Pause machen. So schnell wird die Welt mich nicht los. Ich werde die Situation in Deutschland aussitzen und darauf warten, dass die Welt wieder die alte wird. Und dann werde ich mich wieder ins Flugzeug setzen: nach Neuseeland, Argentinien, Chile, Uruguay, Bolivien, USA, Kanada… So viele Länder warten noch auf mich. Das wird meine Weltreise 2.0. 

„Am Ende wird alles gut. Und wenn es noch nicht gut ist, dann ist es noch nicht das Ende.“

 

Dieser Beitrag hat 8 Kommentare

  1. Andrea

    Hey Anne, Du bist ja daheim! Herzlich Willkommen!!!! Wie war denn Deine Rückhol-Aktion?

    1. Anne

      Hey Andrea, vielen lieben Dank für die Willkommenswünsche. Ja, ich bin wieder zurück. Ich habe es jetzt auch endlich geschafft, noch einen neuen Bericht zu schreiben. Da geht’s auch um die Rückholaktion.

  2. Andrea

    Hallo liebe Anne, ach Deine letzten Reiseberichte haben mir fast das Herz zerrissen!!! Ich konnte ja soooo mit Dir mitfühlen und mitleiden..!!!! Aber es tut gut eine Entscheidung getroffen zu haben, mit der man sich dann (irgendwann) anfreunden und leben kann. Der Prozess dorthin ist zwar schmerzlich… aber wenn man sich einmal entschieden hat, ist es irgendwie auch entspannend…. empfindest Du das nicht auch so? Und mit der Aussicht auf ein gutes „Ende“ (also eine Fortsetzung Deiner Weltreise) hast Du ein schönes Ziel vor Augen… UND Du siehst Deine Lieben bald wieder!!!😍 Entspannte Grüße aus dem Zwangsurlaub sendet Dir Deine Andrea ❤

    1. Anne

      Liebe Andrea, ja es war wirklich ein schmerzlicher Prozess und ich will eigentlich immer noch nicht zurück nach Deutschland, weiß aber, dass es aktuell wirklich das Beste ist. Und sobald ich in Deutschland angekommen bin, wird der zweite Teil der Reise geplant. Planen ist ja fast so schön wie Reisen 🙂 Ich hoffe, dass dein Zwangsurlaub dir wenigstens ein paar schöne Stunden bringt und du bald ebenso wieder raus in die weite Welt kannst.

  3. Oma & Opa

    Doch mit des Geschickes Mächten ist kein ewger Bund zu flechten und das Unglück schreitet schnell – hatte schon Schiller vorher gesagt. Ja es tut uns unsagbar leid, dass Du auf Deiner großen Reise so jäh ausgebremst wurdest. Und dann noch von solch kleinen Viren. Aber gegenwärtig macht es tatsächlich keinen Sinn, Gedanken an eine evtl. Fortsetzung der Reise zu verschwenden. Dein Vorsatz, vorerst zurück zu kommen und bei Beruhigung der Lage als Weltreise 2.0 abzuschließen, ist eine weise Entscheidung. Bis dahin viel Spaß mit Deinen Leidensgefährten und eine glückliche Heimkehr

    1. Anne

      Das hat der Schiller aber schön gesagt 😀 Danke für die Wünsche und im Moment bin ich sehr froh, hier solche netten Leute gefunden zu haben. Wir halten es hier schon noch eine Weile miteinander im Hostel aus.

  4. Rebekka

    Hey Anne, schon irgendwie krass, wie die ganze Welt gerade den Atem anhält und wartet was passiert… Ich glaub, so schwierige Entscheidungen müssen grad so viele treffen. Schade, dass du deine Weltreise erstmal unterbrechen musst, aber ich bin trotzdem optimistisch, dass es sich bald auch wieder normalisiert und du wieder starten kannst. Und nach deiner Quarantäne gibt’s ein Date, okay? Wünsche dir noch ne gute Zeit in Auckland mit deiner Bande!

    1. Anne

      After-Quarantäne-Party geht absolut klar. Dann besuche ich dich in deinem Home Office 😀 Kann nur leider sein, dass es doch noch ein Weilchen dauert. Neuseeland hat ja heute die Rückkehrflüge erneut verschoben. Vielleicht sitze ich hier also doch noch ein paar Monate 😀

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