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Mein Leben als Reisenomadin

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  • Beitrags-Kategorie:Rucksackleben

Ich bin gerade im Land der Nomaden – was passt da besser, als über mein ganz persönliches Nomadentum zu berichten. Über das ständige Weiterziehen, das Immer-wieder-neu-Ankommen, über die Wurzeln, die sich nicht bilden können, die vielen Abschiede. 

Ich war bislang in neun Ländern und habe mehr als 10.000 Kilometer über Land zurückgelegt. Ich habe in 14 Hostels, einem Hotel, einem Apartment und einer Privatwohnung übernachtet. Außerdem sechsmal in Zügen, fünfmal in der Jurte und einmal im Zelt. Im Durchschnitt wechsele ich alle drei bis vier Tage meinen Wohnort. Und das bedeutet, rund zweimal pro Woche wird alles zurück auf Anfang gestellt. Das fühlt sich an wie Daueramnäsie.

Für Leute wie mich, die geregelte Abläufe lieben, ist eine Weltreise folglich nicht geeignet. Dröseln wir das doch einmal nach den verschiedenen Problemzonen auf.

Stolperschritte

Die offensichtlichste Hürde: Ich weiß so gut wie nie, wo irgendwas ist. Seien es Hostel, Bahnhof, Supermarkt, Kreml, Eremitage, Karlsbrücke, Toilette, Bankautomat, Handyladen, oder Burger King. Wie angenehm ist es doch, wenn man jeden Tag den selben Weg zur Arbeit nimmt, auf dem Heimweg am altbekannten Edeka vorbeifährt und danach auf Anhieb seine Wohnung findet. 

Wie nervig ist es, wenn man ohne Google Maps nicht aus dem Haus gehen kann. Wie unfassbar nervig ist es, wenn Google Maps nicht anspringt, auch nicht weiß, wo wir sind oder so tut, als ob es einen Zielort nicht kennt. 

 

Baustelle am Bahnhof in Bratislava
Baustellenwirrwarr am Bahnhof in Bratislava - wo bitte geht's hier zum Hostel?

Manchmal bin ich wütend auf mein Handy, oder habe keine Lust es um Hilfe zu bitten und suche auf eigene Faust. Sowohl in Prag als auch im Altstadtlabyrinth von Tallinn führte das zum Beispiel dazu, dass ich tagelang abstruse Wege zu einem weit entfernt geglaubten Supermarkt lief und erst am letzten Tag feststellte, dass dieser in Wahrheit in unmittelbarer Nähe zum Hostel liegt. 

Überhaupt: Der letzte Tag – was für ein Unterschied zur Ankunft: Inzwischen ist ein zarter, kleiner Stadtplan in meinem Kopf gesprossen, mit dessen Hilfe ich zu den wichtigsten Orten finde. Wie stolz war ich in Riga, als ich zum ersten Mal den richtigen Ausgang aus einem teuflischen, unterirdischen Fußgängerkreisverkehr zu meinem Hostel fand. Oder in Nowosibirsk den langen Rückweg zum Bahnhof komplett ohne Hilfe schaffte. Oder in Ulan-Bator Wietze den Weg zum Handyladen erklären konnte. Aber in dem Moment, in dem ich langsam ankomme, muss ich weiterziehen. 

Eine Nummer härter: Öffentliche Verkehrsmittel

Die U-Bahn ist ok, die funktioniert überall ähnlich und man kann nicht so viel falsch machen. Die Bahnen fahren alle paar Minuten, es ist auch ersichtlich, wo sie abfahren und es gibt Ticketautomaten.

Bahnhöfe gehen (außer in der Slowakei) auch meistens ganz gut. Es gibt (außer in der Slowakei) Anzeigetafeln und Fahrpläne und ein klar definiertes Bahnhofsgebäude (außer in Bialystok).

Busse sind der absolute Horror. In den meisten Ländern sind sie nur was für Einheimische. Für Touristen wie mich ist oft nicht ansatzweise ermittelbar, nach welchem System sie operieren. Wo fahren sie ab und wo fahren sie hin? Wie oft kommt der Bus? Wie bezahle ich und wieviel? Muss ich einen Knopf drücken, wenn ich aussteigen will? Und bitte, sagt doch die Haltestellen an. 

In Städten wie Nowosibirsk, Jekaterinburg und Krasnojarsk versuchte ich gar nicht erst durchzublicken und lief lieber kilometerweit zu Fuß. Wenn ich zu einem weiter entfernten Ziel möchte, das ich tatsächlich nur mit dem Bus erreichen kann, ertappe ich mich dabei, dass ich mir selber in den Popo treten muss, dieses Unterfangen anzugehen (Es besteht ja schließlich auch immer die Gefahr, am Zielort zu stranden).

O-Bus in Jekaterinburg
O-Bus in Jekaterinburg - den schaue ich mir nur von außen an

Bislang haben ich mich zwangsweise nur in Lipton Miraculix eingehend in das lokale Bussystem eingearbeitet, weil es dort eben nicht anders ging. Und siehe da, nach vier Tagen war mir alles klar. Ich lachte mein vergangenes Ich aus, das am Ankunftstag, völlig orientierungslos, ein Taxi zum Hotel nehmen musste. Dann musste ich weiter und lachte nicht mehr. Denn an meinem nächsten Ziel, Warschau, strandete ich prompt am Bahnhof West und hatte keine Ahnung, wie ich zu meinem verdammten Hostel kommen soll. 

Das neue Zuhause

Apropos Hostel. Ich bin nicht gern die Neue im Hostel. Ich bin gerne eine, die schon weiß, wie dort alles funktioniert und dann über die Neulinge kichern kann, die das noch nicht wissen. Die hektisch nach dem WLAN-Passwort suchen, keine Ahnung haben, welches die beste Dusche ist, die Steckdose nicht finden, oder den Lichtschalter, oder den Kühlschrank. 

Auch ich habe natürlich meine kleinen Aussetzer (natürlich viel seltener als andere). In Warschau ärgerte ich mich zwei Tage darüber, dass es nirgendwo einen gemütlichen Sitzplatz gibt und erfuhr dann erst, dass im Keller ein großer Aufenthaltsraum auf mich wartet. 

In Vilnius übte Galina mit mir wiederholt, wie man ihre Wohnungstür mit einer Art überdimensioniertem, antiken Uhrenschlüssel öffnet (sie stand in der Wohnung und brüllte mir Anweisungen durch die geschlossene Tür zu, während ich im Hausflur war). Und in der Transsib scheiterte ich an der Toilettenspülung, die sich sehr gut getarnt auf dem Boden befand, aber das erzählte ich ja bereits. 

Küchenregeln in Tallinn
Neues Hostel, neue Regeln - Hier in der Küche in Tallinn

Muss ich jetzt echt nach dem Namen fragen?

Das ist eine sehr essenzielle Frage: Wieviel Energie wende ich dazu auf, neue Menschen kennenzulernen, die ich nach einer knappen Woche höchstwahrscheinlich niemals wiedersehe. Meine Antwort: wenig Energie (wundert euch wahrscheinlich nicht).

Nein, mal im Ernst: Es gibt in Hostels die Leute, die alle anquatschen und die Leute, die den Mund gar nicht aufmachen. Ich bin irgendwo in der Mitte. Manchmal ist mir nach ein bisschen Smalltalk, manchmal habe ich aber auch keine Lust zum 400. Mal das Standardgesprächsprotokoll der Backpackergemeinschaft abzuhandeln:
1. „Woher kommst du?“
2. „Wie heißt du?“ 
3. „Seit wann bist du hier?“
4. „Was hast du hier schon gemacht?“
5. „Wohin geht es als Nächstes?“
In vielen Hostels habe ich Menschen gefunden, mit denen ich es über das Standardgesprächsprotokoll der Backpackergemeinschaft hinaus geschafft habe. Blöd ist dann nur, dass ich sie nach einer knappen Woche höchstwahrscheinlich niemals wiedersehe.

Das habe ich doch gestern schon gemacht

Ich hoffe, ich habe euch in den vergangenen 187 Zeilen eindrücklich genug vorgejammert, wie unbeständig mein Leben gerade ist und euer vollstes Mitleid erlangt. Aber ihr müsst nicht um mich bangen. Ich habe einen Weg gefunden, damit besser klarzukommen. Ich führe an den meisten neuen Orten eine kleine Routine ein. Nicht mit Absicht, das passiert ganz von alleine. 

Eigentlich begann das alles in Lipton Miraculix (an den vorherigen Reisezielen war ich noch frisch), wo ich jeden Abend ein paar Runden um einen nahegelegenen Sportplatz lief um dort Energie für mein Wizards-Unite-Handyspiel zu sammeln. In Warschau hörte ich abends immer den Straßenmusikanten zu. In Moskau war ich immer bei Cinnabon, in Nowosibirsk immer bei KFC und in Listwjanka traf ich mich abends mit Druga im Hof. 

 

Katze Druga auf meinem Schoß
Druga war zu unseren abendlichen Treffen meistens pünktlich

Selbst auf unserer sehr unberechenbaren Wüstentour schlich sich bei uns ganz rasch eine Tagesroutine ein: Wir saßen immer alle auf dem selben Platz im Bus, jeder schlief jede Nacht auf der selben Seite im Zelt. Ich stand morgens immer als Erste auf (echt wahr!) und ging waschen, während Michi und Steffi schon einmal Sachen zusammenpackten. Patra und ich deckten dann immer gemeinsam den Frühstückstisch, naja und so weiter. Wie war das mit dem Menschen und dem Gewohnheitstier? 

Was ich eigentlich sagen wollte...

Ich liebe mein Reiseleben, ich liebe es, so viele neue Orte zu sehen, heute noch nicht zu wissen, wo ich in einem Monat sein werde und vieles einfach auf mich zukommen zu lassen. Nur manchmal, ja manchmal da wünsche ich mir schon, mal etwas durchschnaufen zu können, eben nicht nach vier Tagen schon wieder aufzubrechen an einen Ort und zu Menschen, die mir erneut völlig fremd sind. 

Ich hatte mir deshalb in Russland vorgenommen, nun von Zeit zu Zeit (oder vielleicht permanent?) längere Stops einzulegen. Denn das ständige Aufbrechen fiel mir von Mal zu Mal schwerer. Und wie es der Zufall so will, war der erste dieser längeren Stops für mich in Ulan-Bator, in der Mongolei, im Land der Nomaden. Acht Tage war ich in der Stadt. Acht Tage, in denen ich meinen Rucksack nicht packen musste, kaum Google Maps brauchte, viele Gesichter immer bekannter wurden und ich herzlich wenig von der Stadt sah. Schön war das.

Anne auf dem Hostelsofa in Ulan-Bator
Abhängen in UB - Einfach mal nichts tun auf dem liebgewonnenen Hostelsofa auf dem Flur

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Andrea

    Anne, ich stelle fest: Es scheint wohl jedem Menschen so zu ergehen, der sich auf solch einer Art von Reise befindet. Wobei ich mir manchmal da nicht so sicher bin (und es mich ziemlich irritiert): Da kommt ein Mensch neu ins Hostel und strahl NULL Orientierungslosigkeit o.ä. aus! Entweder hat er sich gut im Griff …. oder er ist schon soooo lange Reisenomade, dass er genau weiß, was er machen muss … oder er ist als Reisenomade geboren.*grübelgrübel – Kurzum: So ein Alien irritiert mich mal richtig (und lässt mich ganz schön mickrig zurück) 🙂

    1. Anne

      Das stimmt. Mich irritieren solche Leute auch. Es gibt zum Beispiel Leute, die von Russland in die Mongolei erst mit dem Zug zur Grenze fahren, sich vor Ort einen Minibus suchen, der sie über die Grenze fährt und dann mit dem Zug weiter nach Ulan-Bator fahren. Das ist zwar viel billiger, aber für mich wäre das echt ein wenig zu viel Abenteuer 😀

  2. Mama

    Soll ich dich abholen kommen?
    Ich hatte jetzt ein paar Tage nicht gelesen und bin wegen deiner Sentimentaliät doch einigermaßen überrascht.

    1. Anne

      Also Mama wirklich,
      1. war ich schon immer sentimental
      2. geht es meistens nicht um Sentimentalität, sondern darum, dass ich einfach manchmal einen „Pooltag“ brauche. Reisen ist anstrengend.
      3. Nein, du brauchst mich noch nicht abholen. Wie ich in meinem letzten Absatz schrieb, gefällt es mir immer noch sehr gut 😀

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