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Die hohen Höhen und die tiefen Tiefen des Wanderlebens

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  • Beitrags-Kategorie:Südamerika

Ich bin von meiner großen Wanderung zurück und mein 25-Kilo-Rucksack auch. Ich wollte ihn eigentlich im Park um die Ecke bringen, habe mich dann aber beherrscht. Er ist zum Glück mit jeder gegessenen Mahlzeit leichter geworden. 

Meine Füße erholen sich langsam von den Strapazen, ich muss endlich nicht mehr den ganzen Tag Cracker essen und fühle mich bereit, euch von meinen Abenteuern im Nationalpark Torres del Paine zu berichten.

Tag 1: Locker und flockig ins erste Camp

Eine jede Wanderung, die etwas auf sich hält, beginnt unbedingt zu einer Unzeit. Ich fiel gegen 5:30 Uhr aus dem Bett und musste zum Glück nicht mehr viel erledigen, da ich mein Rucksackmonster am Vorabend so gut wie fertig gepackt hatte.

Leider war die Frühstückslady an diesem Tag etwas spät dran, sodass ich das Hostel um kurz nach 6 Uhr mit leerem Magen verlassen musste. Blöd, eine zusätzliche Frühstücksration hatte ich nicht eingeplant.

Um 6:40 Uhr saß ich im Bus und gegen 8:30 Uhr fuhren wir in den Nationalpark ein.

Der Bus ließ uns an der Laguna Amarga raus, wo alle ihre Tickets vorzeigen mussten. Windig war es dort, kann ich euch sagen. 

Der Nationalpark Torres del Paine ist riesig. Einen Schwung der Passagiere lud der Busfahrer nach dem Ticketvorzeigeprozess wieder ein, um sie zu ihren gewünschten Destinationen zu bringen. Ich hingegen musste mich in eine neue Schlange stellen, um auf einen Shuttlebus zum Willkommenscenter zu warten.

Laguna Amarga - lasst euch nicht vom blauen Himmel täuschen, es war stürmisch

Der tauchte in Form eines Minivans zum Glück recht schnell auf. Es war mir etwas peinlich, dem Fahrer meinen Rucksack zu reichen. Der musste bei dem Gewicht doch auch denken, dass ich völlig übergeschnappt war.

Eine weitere viertel Stunde später waren wir am Willkommenscenter, wo ich die Hälfte meines zugegebenermaßen riesigen Lunchbrötchens als Frühstück missbrauchte.

Dann konnte ich den Start nicht länger hinauszögern. Ich folgte zuerst dem Strom der Menschen den Weg entlang, der vom Center wegführte. Dann teilte sich der Weg und ich war auf einmal allein auf weiter Flur.

In dem Nationalpark tummeln sich ganz grob drei Arten von Menschen: die Tageswanderer, die Wanderer, die die Frontseite des Parks abwandern (W-Trek) und die Menschen, die Front- und Rückseite des Parks umwandern (O-Trek). 

Und nur Menschen wie ich, wir wenigen O-Trekker, übernachten normalerweise auf dem Campingplatz Serón. Das erklärt, warum ich den Weg häufig für mich alleine hatte.

Auf rund 13 Kilometern führte er mich bei freundlichem Wetter über sanfte Steigungen und breite Pfade ins Hinterland des Parks.

Das war ein ganz angenehmer Auftakt meiner Wanderung. Nur ab und zu hätte eine Beschilderung ganz gut getan. 

Ich war trotz Lunchpause schon um 14:10 Uhr am Zeltplatz Serón und musste sogar noch 20 Minuten warten, bis der Check-in begann.

Der war ganz unkompliziert. Zum Glück reichte der Mitarbeiterin mein Reisepass und meine Reservierungsbestätigung auf dem Handy. Ich musste mich nur noch in die obligatorische Parkliste eintragen und schon durfte ich auf die Wiese zum Zeltaufbau.

Peter vom Campingverleih hatte mit mir am Vortag zum Glück probeweise mein Zelt aufgebaut, sodass ich jetzt keinerlei Probleme hatte. Ich fand ein ansatzweise windgeschütztes Plätzchen vor einem Busch und machte mich ans Werk.

Danach war Faulenzen angesagt. Und ich war froh, dass ich mich in meinen dicken Alpakapullover und meinen Schlafsack wickeln konnte. 

Zum Abendessen musste ich noch einmal raus. Die Campingplätze haben extra Ecken, wo man mit dem Gaskocher hantieren darf. Im Fall von Serón war das ein kleines, windgeplagtes Zelt, dem die Böen immer den Eingangsvorhang aufbliesen.

Mein erster "Kochversuch": Nudeln mit Tomatensoße

Alt wurde ich an dem Abend nicht. Ich lag schon vor Sonnenuntergang wieder in meinem Schlafsack und schaute meine Sudokuvideos.

Tag 2: Der Wind will mich von der Klippe wehen!

Etwas steifhüftig wachte ich am Morgen auf. So bequem war die ganze Angelegenheit mit dem Zelt nicht, ich hatte ja keine Luftmatratze. 

Zum Frühstück gab es zum ersten Mal mein vorbereitetes Müsli, das ich nur noch mit Wasser auffüllen musste. Es schmeckte hervorragend. Dann flott das Zelt abgebaut und bei gutem Wetter losgewandert.

Tagesziel: Der 19 Kilometer entfernte Zeltplatz Dickson

Der Anfang ging ganz gut, noch auf breiten Feldwegen. Das änderte sich, als ich an den See Paine kam. Dort führte der schmale Pfad am Rand eines Berges entlang und der Wind wehte so stark, dass ich sehr froh über meine Wanderstöcke war, die mich auf den Beinen hielten, sodass ich nicht über die Wegkante flatterte.

Das Gewehe ging zum Glück nicht die ganze Zeit so weiter und die Aussichten waren wieder sehr lohnenswert.

Die 19 Kilometer zogen sich aber, kann ich euch sagen. Und nun steckten mir schon zwei Tage in den Füßen, die sich von nun an gar nicht mehr ordentlich regenerieren wollten. 

Nach dem Lunch brauchte ich jedenfalls noch die ein oder andere weitere Verschnaufpause.

Bei einer der kleinen Pausen am Wegesrand

Irgendwann tauchte dann tatsächlich der Zeltplatz unter mir auf, vor herrlicher Kulisse.

Den Zeltplatz Dickson kürte ich am Ende der Woche zu meinem Lieblingszeltplatz. Zuerst einmal musste ich nun aber hinkommen. Und der Abstieg war verdammt steil. Ohne Wanderstöcke wäre ich einmal mehr aufgeschmissen gewiesen.

Um 15:35 Uhr trug ich mich schließlich in das Rangerbuch ein. Danach suchte ich mir ein nettes Plätzchen für mein Zelt. Das erinnerte mich jedes Mal an das Spiel „Die Siedler von Catan“. Ziel war es, einen Platz mit folgenden Kriterien zu finden: windstill, ruhig, sonnig, mückenfrei, ebenerdig. Die Filetstücke waren schon weg. Ich musste mich also damit zufriedengeben: windstill, ruhig, schattig, mückengeplagt, ebenerdig.

Das Kochzelt war diesmal ein netter Raum. Leider bekam ich erst einmal meinen Gaskocher nicht zum Laufen und sah mich schon Cracker mit kalter Tomatensoße essen. 

Aber neben mir kochte zum Glück gerade eine Gruppe chilenischer Porter ein fürstliches Mahl. Und sie ließen mich erst ihren Gaskocher benutzen und reparierten mir dann meinen. Beziehungsweise war der glaube ich gar nicht kaputt, ich hätte ihn nur nicht mit genug Gefühl benutzt, wurde mir erklärt.

Ach und duschen war ich ja auch noch. Es gab tatsächlich heiße Duschen und recht schick war der Waschraum auch noch. Ich hatte mich darauf eingestellt, vielleicht einmal oder so duschen zu gehen. 

Krass fand ich es, dass tatsächlich den ganzen Abend über noch Leute ankamen. Ich frage mich, was die den ganzen Tag über getrieben hatten. Die kamen ja alle von Serón, genau wie ich.

Ich jedenfalls ging wieder früh ins Bett und hatte eine genauso unbequeme Nacht wie nach dem ersten Tag. 

Tag 3: Als die Sache mit dem Wald überhandnahm

Ich atmete jeden Morgen erleichtert auf, wenn ich nicht zu dem Geräusch von Regen aufwachte. Auch Tag 3 begrüßte mich wieder regenfrei. Soviel Glück muss man im patagonischen Sommer mit seinem ewigen Aprilwetter erst einmal haben.

Zu sehr musste ich mich an diesem Morgen auch nicht stressen, weil diesmal nur eine 11-Kilometer-Etappe auf mich wartete. Ich ließ mir wieder mein Müsli schmecken, baute ab und machte mich gegen 9 Uhr entspannt auf den Weg.

Das Tagesziel war diesmal der Zeltplatz Los Perros

Schon bald nachdem ich den Zeltplatz Dickson verlassen hatte, führte der Weg in einen Wald und aus diesem auch nicht mehr hinaus. Das war auf die Dauer doch etwas monoton. 

Mein Highlight war, als ein Gaucho mit seinen riesigen Packpferden an mir vorbeiritt. Im Park gibt es ganz viele Gauchos und Pferde, habe ich später gesehen, die unter anderem die abgelegenen Zeltplätze versorgen, wenn ich die Fracht der Pferde richtig interpretiert habe.

Ab und zu konnte ich mal ein wenig aus dem Wald rauslunzen und so etwas wie eine Aussicht haben. Aber viel mehr gibt es über diese Waldwanderung wirklich nicht zu sagen.

Kurz vor dem Campingplatz verließ der Weg den Wald tatsächlich mal kurz und ich kam an der Laguna Los Perros mit angeschlossenem Gletscher vorbei. 

Vom Weg führte ein kurzer Pfad zu einem Aussichtspunkt ab. Ich schnallte also meinen Rucksack ab und ließ ihn am Hauptweg liegen, um schnell einen Blick vom Aussichtspunkt zu erhaschen. Ich sags euch, in den ersten Momenten ohne Rucksack dachte ich, ich hätte die Schwerkraft besiegt und würde jeden Moment vom Boden abheben. Das war ein ganz irres Gefühl.

Der Zeltplatz lag dann wieder im Wald. Ich fand ein ruhiges Plätzchen und in null Komma nix stand mein kleines Zelt.

Mein Speiseplan erfuhr eine gewaltige Neuerung. Statt Nudeln mit Tomatensoße gab es diesmal japanische Ramennudeln. Die chilenischen Porter hatten wieder ein Festmahl gekocht und wollten mich mitversorgen, aber ich wollte ja meine Vorräte verbrauchen, damit mein Rucksack leichter wird.

Tag 4: Katastrophe, die reine Katastrophe

Das war mir im Vorhinein klar gewesen: Tag 4 würde der härteste Tag werden. Denn man muss sich über den auf 1.200 Meter Höhe gelegenen John-Gardner-Pass wuchten. 

Was mir nicht klar gewesen war: Das Problem war es nicht, hinauf zu kommen. Denn wenn man von Los Perros aus startet, ist man schon auf 550 Metern. Auf der anderen Seite muss man allerdings fast die kompletten 1.200 Meter hinuntersteigen, denn der Zeltplatz am Ende der Tagesetappe wartet in einer Höhe von 74 Metern auf die völlig abgeschlagene Wanderin. Katastrophe, ich sags ja.

Zuerst einmal fing der Tag bereits schrecklich an, weil mein Wecker um 5 Uhr klingelte. Ich musste mich also mit Stirnlampe fertig machen. Mein Zelt konnte ich dann in der Halbdämmerung abbauen und als ich mich um 6:30 Uhr auf den Weg machte, war es schon einigermaßen hell.

Alle Wanderer, die über den Pass wollen, müssen übrigens den Campingplatz Los Perros bis 7 Uhr verlassen haben. Danach wird der Wanderweg gesperrt. Ich glaube, so soll sichergestellt werden, dass alle es bis zum Einbruch der Dunkelheit zum nächsten Zeltplatz schaffen.

Die ersten Kilometer waren richtig nervig. Wir waren immer noch im Wald und der Weg war die meiste Zeit im besten Fall ein Matschfeld und im schlimmsten Fall regelrecht überflutet. Dazu kamen dann noch jede Menge nicht besonders vertrauenswürdig aussehende kleine Holzbrücken.

Ich fühlte mich, als würde ich permanent Rätsel lösen: „Hier haben Sie eine zehn Meter lange überflutete Fläche. Ihnen stehen zwei Steine und eine morsche Holzplanke zur Verfügung. Wie überqueren Sie die Passage trockenen Fußes?“ So ungefähr die Stimme in meinem Kopf.

Nach ungefähr anderthalb Stunden war der Wald aber zumindest vorläufig Geschichte. Die Bäume lichteten sich und gaben den Blick auf ein Geröllfeld frei, das meine nächste Aufgabe werden würde.

Es ging nun stetig nach oben, aber ich fühlte mich recht gut dabei und musste nur selten anhalten, um wirklich zu verschnaufen. Hier passierte es mir auch das allererste Mal in vier Tagen – das muss man sich mal vorstellen – dass ich jemanden überholte. Sonst wurde immer nur ich überholt. Ich war wirklich eine der Langsamsten. Aber Dabeisein ist alles.

Und dann war ich endlich oben auf dem John-Gardner-Pass und von der Szenerie überwältigt. Denn vor mir lag der enorme Gletscher Grey. So ungefähr sah das aus, als ich ihn zum ersten Mal sah. Auf dem Foto könnte man fast denken, es ist ein See.

Am Ende des Plateaus vor dem Abstieg machten viele vor dieser grandiosen Kulisse ihre Mittagspause. Aber es war noch nicht einmal 11 Uhr und ich wollte noch Strecke machen vor der Pause. Deswegen blieb ich nur für dieses Panoramafoto stehen.

Und dann begann mein Leidensweg. Bis hierhin war ich ziemlich gut gelaunt gewesen. Nun wurde es einfach nur steil. Diesmal bergab. Das Gute an der Sache war lediglich, dass mit jedem abgestiegenen Meter der Gletscher ein Stückchen näher kam.

Die armen Menschen, die nur mit dem Boot auf dem See zum Gletscher fahren. Die können ja gar nicht sehen, welche Welten sich hinter der Abbruchkante noch verbergen. Diese Aussicht bleibt den O-Trekkern vorbehalten.

An einem schattigen Plätzchen am Hang mit 1a-Aussicht machte ich gegen halb 12 endlich Halt für mein sehr verdientes Mittagessen. Natürlich wieder Cracker und Nüsse.

Ich muss da schon wie das leibhaftige Elend ausgesehen haben, weil mich mehrmals Leute ansprachen, ob mit mir alles in Ordnung sei. Und das war auch nicht das einzige Mal, dass mir das in den acht Tagen passierte. Ich muss an meiner Mimik arbeiten.

Nun wurde es wieder waldig und immer steiler, ich schwöre. Und teilweise wusste ich überhaupt nicht, wie ich absurde 1,5-Meter-Stufen und umgestürzte Bäume überhaupt bewältigen sollte. 

Nach einer Ewigkeit lichtete sich der Wald noch einmal kurz und machte einem Bach mit Wasserfall und einer weiteren tollen Gletscheraussicht Platz.

Das war so ziemlich das letzte Mal, dass ich den Gletscher unverstellt zu Gesicht bekam. Es wurde nun wieder ziemlich waldig. 

Und das Schlimmste: Irgendwie schien es jetzt wieder ständig bergauf zu gehen, dabei sollte ich doch auf 74 Meter abstiegen. Ich verstand das wirklich nicht. 

Und das Allerschlimmste: Auf einmal stand ich vor einer sehr langen Hängebrücke, die über eine tiefe Schlucht führte. Ich habe eigentlich nicht so richtig Höhenangst, aber zwischen den Trittbrettern waren Lücken und das „Geländer“ war nur ein Seil auf beiden Seiten und mit meinem schweren Rucksack wog ich gefühlt 200 Kilo.

Und das Allerallerschlimmste: Nach der Hängebrücke verlief ich mich. Oder besser gesagt dachte ich nur, ich hätte mich verlaufen. Weil hinter mir einfach überhaupt keiner mehr auftauchte. Also war ich irgendwann davon überzeugt, dass ich nach der Brücke falsch abgebogen war. 

Ich stieg den steilen Hang, den ich soeben mühsam hinaufgeklettert war, wieder hinab. Und dann kam mir tatsächlich doch noch eine große Schar entgegengelaufen. Ich war richtig gewesen. Kletterte ich eben den Hang ein zweites Mal hinauf. Gar kein Ding.

Zu einer Besserung meiner Stimmung trug auch nicht bei, dass noch zwei weitere der traumatischen Hängebrücken folgten. Und der Weg nahm und nahm kein Ende. Ich war schon längst fix und alle und fertig und nur der Wille trieb mich noch an, während ich Überlegungen darüber anstellte, ob es diesen angeblichen Campingplatz Grey in Wirklichkeit vielleicht überhaupt nicht gibt.

Und als I-Tüpfelchen kam inmitten meiner Misere auch noch schlagartig gewaltiger Gegenverkehr. Das bedeutete, ich war am Ende des O-Trek- Abschnitts angelangt. Die Gegend, in die ich jetzt kam, konnte auch von Tagestouristen und W-Trekkern mithilfe eines Boots erreicht werden.

Und jetzt wurde ich von diesen frisch und fröhlichen, unberucksackten Leuten gefragt, wie weit denn diese verdammten Hängebrücken noch entfernt seien.

Nach zwölf Stunden auf den Beinen tauchte wie durch ein Wunder gegen 18:30 Uhr der Campingplatz Grey vor mir auf. Ein ganz großes Glück im Unglück gab es für mich. Und zwar hatte ich bei der Buchung vor drei Monaten für Grey keinen Zeltplatz reservieren können, da war alles schon ausgebucht. Stattdessen musste ich ein Bett im Schlafsaal im zum Campingplatz gehörenden Refugio buchen. 

Die teuerste Übernachtung meines Lebens, muss ich dazusagen. Aber sie war jeden Cent wert und hätte jemand mir gegen Geldrückerstattung doch noch einen Zeltplatz angeboten, hätte ich demjenigen einen Vogel gezeigt.

Mit letzter Kraft schaffte ich es die Treppen zum wunderbar warmen kuscheligen Zimmer hinauf und unter die heiße Dusche. Ich war nicht einmal mehr hungrig, sodass ich das Abendessen ausfallen ließ und mich im Anschluss sofort ins Bett legte. Mir taten nicht nur die Füße weh wie Hölle sondern auch die Hüfte, auf der den ganzen Tag der Rucksack aufgesessen hatte. In der Folge konnte ich nicht einmal gescheit liegen. Alles große Katastrophe. Aber im Zelt wäre alles zehn Mal schlimmer gewesen.

Tag 5: Vielleicht sollte ich das Wandern an den Nagel hängen

Ich wachte zum Geräusch von Regen auf, der gegen die Scheiben prasselte. Super. Aber froh war ich auch, dass ich mich bei dem Regen nicht auch noch aus dem Zelt schälen musste, sondern im Refugio war.

Das war eine ganz andere Welt als die, in der ich die vergangenen vier Tage verbracht hatte. Alles so warm und hell und beinahe dekadent. Als ich ins Erdgeschoss kam, war da in einem Speisesaal ein riesiges Frühstücksbuffet aufgebaut und alle Tische voll besetzt.

Ich war wahrscheinlich eine der wenigen, die kein Frühstück gebucht hatte, weil das einfach sau teuer ist. Mit meinem kleinen Gaskocher zog ich also in den Regen, um drei Häuser weiter im Kochraum des Campingplatzes in die raue Realität eines armen O-Trekkers zurückzukehren und mir mein Schokomüsli zuzubereiten, das mir inzwischen komplett zu den Ohren rauskam.

Nur etwas Gutes konnte ich über den Tag sagen: Die Tagesetappe war mit 11 Kilometern sehr kurz. Also wickelte ich mich erst um 9:30 Uhr in den Regenponcho und zog los. Da der Regen die meiste Zeit anhielt und ich einfach nur am nächsten Campingplatz ankommen wollte, machte ich so gut wie keine Fotos.

Meine Füße machten mich schon wieder fertig, inzwischen hatte ich mir drei Blasen eingefangen. Das war mir schon seit Ewigkeiten nicht mehr passiert. In einer Regenpause tauchte der schönste Anblick des Tages vor mir auf: der Campingplatz Paine Grande. 

Meine Nacht im Schlafsaal war eine Ausnahme gewesen. Nun ging es zurück ins Zelt. Windig war es beim Aufbau, aber der Regen setzte zum Glück erst wieder ein, als ich sicher im Zelt verstaut war.

Ich kroch am späten Nachmittag nochmal hervor, um Essen zu kochen. Und danach wie immer früh ins Bett.

Tag 6: Die Talfahrt ist beendet

Der Morgen ging erfreulich gut los: Zwar wurde mir von meinem Müsli inzwischen richtiggehend schlecht, dafür strahlte die Sonne wieder vom blauen Himmel. Außerdem hatte ich meine letzte Nacht im kleinen Zelt hinter mir und der erste Teil meiner Tagesetappe war nur 7,5 Kilometer lang.

Der Weg führte an tollen Bergformationen und am See Skottsberg vorbei und war ziemlich einfach.

Unterwegs lernte ich Doug aus den USA kennen, weil wir uns in regelmäßigen Abständen abwechselnd überholten. An einem dieser Überholstops bot Doug mir an, ein Foto von mir zu machen. Heraus kam dieses gelungene Bild. Wie ihr seht, war es um meine Stimmung wieder deutlich besser bestellt.

Es dauerte gar nicht mehr lange, bis das Camp Italiano vor mir auftauchte. Das war für mich aber nur Zwischenstation. Ich wollte dort meinen Rucksack abstellen, um gepäckfrei zu einem Aussichtspunkt oberhalb des Camps hinaufzusteigen.

Das Camp Italiano aus der Ferne

Beim Abstellen des Rucksacks lernte ich dann zufällig auch noch Dougs Freund Glen kennen. Doug war schon vor zum Aussichtspunkt, aber Glen ist kein Wanderenthusiast und wartete unten auf seinen Kumpel. Inzwischen werden die beiden schon in der Antarktis angekommen sein, wo sie zehn Tage rumtouren wollen. Ich bin etwas neidisch.

Nach dem kleinen Plausch machte ich mich rucksacklos auf den Weg zum Aussichtspunkt. Ich ging wie auf Wolken, so leichtfüßig war ich ohne Gepäck. Recht schnell stieg der Weg steil an, aber man ist ja Profi.

Ich entschied mich dazu, nur bis zum Mirador Francés hinaufzusteigen und nicht bis zum noch weiter oben gelegenen Mirador Britannico. Das hätte mich nämlich drei Stunden Zeit gekostet und ich wollte nicht so spät im nächsten Camp ankommen.

Und auch vom Mirador Francés hatte ich schöne Aussichten ins Tal und auf den benachbarten Gletscher. 

Der Gletscher war nicht zu überhören. Häufig donnerte es und kleine Eislawinen gingen ins Tal. Ich aß eine Ration Cracker vor dieser eindrucksvollen Kulisse und machte dann die Biege.

Am Camp Italiano musste ich mich leider mit meinem Rucksack wiedervereinen. Die letzten beiden Kilometer zum Camp Francés waren die zwei längsten des Tages.

Der Zeltplatz war diesmal ganz anders als die vorangegangenen. Keine Wiese oder zumindest flache Ebene sondern in einen bewaldeten Hang gebaut.

Ich glaube, dort gab es gar keine Möglichkeiten, ein eigenes Zelt aufzubauen. Jedenfalls habe ich keine gesehen und bei der Buchung hatte ich ein Luxuszelt reservieren müssen.

Über mehrere in den Hang und Wald gebaute Stege erreichte ich mein Zelt, das wie ein kleines Baumhaus anmutete. Das Zelt war auch mit einer herrlichen Matratze ausgestattet. Jetzt nicht so weich wie die, die man im Bett hat, sondern ungefähr so wie damals die Turnmatten in der Schule. Aber eine große Verbesserung gegenüber meiner Isomatte.

Mein Luxuszelt im Camp Francés

Etwas gewöhnungsbedürftig war das Abendessen. Der Platz, wo man Gaskocher benutzen durfte, war zwischen Damen- und Herrenklo eingeklemmt. Und es gab auch nur einen einzigen Tisch, an dem ich zum Glück einen Platz erhaschte und mich bei meinen gewohnten Nudeln mit Tomatensoße gut mit einer netten, chinesischen Kanadierin unterhielt.

Ich fragte mich allerdings, wo meine ganzen O-Trekker hin waren. Bis auf eine Dänin und einen der Porter sah ich in meinen letzten Tagen auf der Wanderung von denen gar niemanden mehr. Fand ich irgendwie schade, wir hatten doch alle gemeinsam angefangen.

Tag 7: Der Kreis schließt sich

Ich war wenig gewillt, am nächsten Morgen aus dem Schlafsack hervorzukriechen. Es regnete mal wieder. Aber ich hatte noch einmal 16 Kilometer vor mir, die laufen sich ja auch nicht von alleine.

Gegen 9 Uhr hatte ich meine 7 Sachen zusammengeklaubt und war bereit für die Wanderung. Frühstücklos verließ ich das Camp. Mir hing mein Müsli inzwischen so zum Hals raus, dass ich die letzten zwei Portionen am Vorabend weggeschmissen hatte. 

Der Plan war es eigentlich gewesen, mir stattdessen Nudelsuppe zum Frühstück zu machen. Dazu hatte ich am Morgen im Endeffekt keine Nerven. Also knabberte ich mal wieder ein paar Cracker auf dem Weg. Die ich zwar auch nicht mehr sehen konnte, aber doch noch ein wenig mehr als das Müsli.

Der Regen war im Endeffekt zum Glück nicht so doll und bescherte uns mehrere tolle Regenbogen.

Nach nur drei Kilometern – die mir mal wieder viel länger vorkamen – erreichte ich das Camp Cuernos. Das war für mich aber nur eine kleine Verschnaufstation.

Danach wurde der Weg langsam etwas weniger steinig. Er führte immer weiter entlang an der sehr skandinavisch klingenden Laguna Nordenskjöld.

An einer kleinen, sehr deutsch klingenden Laguna kam ich aber zu fortgeschrittener Stunde auch noch vorbei.

Ab Inge war es gar nicht mehr so weit. Ich konnte in der Ferne schon die Dächer des einzigen Hotels im Nationalpark sehen, wo die Schönen und Reichen residieren. Und in etwas weiterer Ferne erahnte ich mein Tagesziel – den Campingplatz Torres Central.

Gegen 16 Uhr kam ich hechelnd an der Rezeption des Campingplatzes an. Es war inzwischen sau heiß und meine Füße… Na, das brauche ich nicht mehr erwähnen.

Ich hatte wieder ein Luxuszelt, von dem ich diesmal gar kein Foto gemacht habe. Es war aber das gleiche Modell wie das am Vortag. Der einzige Unterschied war, dass ich diesmal auch noch einen Schlafsack und ein Kissen dazu bekam, sodass die folgende Nacht die bequemste der kompletten Wanderung war, weil ich meinen eigenen Schlafsack als Zusatzpolster verwenden konnte.

An der Rezeption hatte ich einen Coupon für einen kostenlosen Willkommensdrink in die Hand gedrückt bekommen. Den konnte ich fünf Minuten weiter an der Bar des Refugios einlösen. 

Nach einer erfrischenden Dusche zwang ich meine Füße, mich zu dieser Bar zu tragen. Wenn es schon einmal etwas Kostenloses gab. Und zu Feiern gab es auch etwas. Mein O war nun nämlich rund. Vor genau einer Woche war ich am Willkommenscenter losgelaufen. Und nach etwas mehr als 100 Kilometern war ich nun wieder am Ausgangspunkt, denn das Willkommenscenter liegt genau neben dem Campingplatz Torre Central.

Ein Hoch auf 100 gelaufene Kilometer!

Tag 8: Leicht wie eine Feder

Der Trek war geschafft, eigentlich hätte ich nun ja zurück nach Puerto Natales fahren können. Und in meinen schwärzesten Stunden war das auch mein Plan gewesen.

Nun hatte ich aber Energie und Optimismus zurückgewonnen und nahm mein Abschlussprojekt in Angriff.

Dazu musste ich leider noch einmal in der Dunkelheit aus den Schlafsäcken. Der Zeltabbau blieb mir erspart, das Frühstück erneut leider auch. Am Küchenzelt schaute ich trotzdem vorbei. Dort durfte ich nämlich meinen Rucksack für den Tag abstellen. Diese Wanderung würde ich federleicht absolvieren: mit ein paar Crackern in der Gürteltasche und einer kleinen Flasche Wasser in der Hosentasche. Frische Quellen zum Nachfüllen gibt es im Park an jeder Ecke.

Kurz nachdem ich mich auf den Weg gemacht hatte, donnerte auf einmal die Erde.

Eine ganze Pferdehorde kam mir da entgegen und hintendran der Gaucho mit seinen wilden Schreien. Das war saucool.

Ich habe immer noch nicht erwähnt, wohin ich unterwegs war. Der Nationalpark Torres del Paine hat seinen Namen drei Felsformationen zu verdanken, die wie Türme (Torres) aussehen. Am Fuße dieser Türme liegt ein See und zu dem führt die wahrscheinlich populärste Wanderung im Park.

Die erste Stunde war sehr entspannt. Stetig, aber nicht allzu steil ging es aus dem Tal hinaus in die Berge.

Nach etwa sechs Kilometern kam ich am Camp Chileno an. Die Leute, die in Chileno übernachten, stehen für die Wanderung zu den Türmen meistens ganz früh auf, um sie bei Sonnenaufgang zu sehen. 

Ihr wisst ja, dass ich Sonnenaufgänge für überbewertet halte. Nichts läge mir ferner, als vier Stunden im Dunkeln auf schlecht befestigten Pfaden in Bergen herumzukraxeln, um mir einen Sonnenaufgang anzugucken. Den Anblick google ich lieber.

Das Camp Chileno

Hinter dem Camp führte der Weg zuerst eine Weile lang durch einen Wald. Das war auch angenehm. Irgendwann endete der Wald und das Geröll begann. Ein Schild wies darauf hin, dass es jetzt noch ein Kilometer zum See sei. 

Dieser Kilometer hatte es definitiv in sich und fühlte sich eher wie fünf Kilometer an. Denn nun ging es sehr steil bergauf und statt einem Pfad musste man nun über Streinbrocken balancieren.

Der Nebel an diesem Tag ließ die Szenerie gespenstisch wirken.

Ich muss jetzt mal ein wenig angeben und sagen, dass die Wanderung zwar kein Sonntagsspaziergang für mich war, aber so wirklich fertig gemacht hat sie mich auch nicht. Ich musste nie wirklich anhalten, um nach Luft zu schnappen. Da war ich schon ein wenig stolz auf mich, zumal ich später beim Abstieg Massen an japsenden Gesichtern sah.

Zurück zum Thema, nach einer Stunde Geröll sah ich zum ersten Mal leuchtendes Türkis.

Was ich nicht sah, waren die Türme. Die lagen nämlich zum Teil in Nebel gehüllt. Nun hatte ich ja von Machu Pichhu her Nebelerfahrung und wusste, dass sich das Bild innerhalb von Minuten ändern kann.

Ich machte es mir deshalb auf einem Stein bequem und verspeiste die letzten Cracker meiner Wanderung.

Nach einer Stunde Warterei hatten sich die Türme leider immer noch nur halbverschleiert gezeigt.

Ich wollte nicht mehr länger warten, der Nebel sah mir doch ziemlich festgefahren aus. Außerdem hatte ich die Türme ja schon einmal vor blauem Himmel gesehen. Und ihr auch. Was? Ist euch gar nicht aufgefallen? Dann schaut euch noch einmal das allererste Foto dieses Beitrags an. Nee, ihr braucht nicht scrollen. Hier mein Service für euch.

Bei der Anfahrt zum Park kann man die Türme in der Ferne sehen.

Für den Abstieg aus dem Geröllfeld brauchte ich länger als für den Aufstieg. Nun kamen mir nämlich Horden von Tagesgästen entgegen, die mit den ersten Bussen des Tages in den Park gekommen waren. Es ging teilweise wirklich zu wie auf der Autobahn. Leider eine Autobahn im Einbahnstraßensystem.

Wer mir auch entgegenkam, war die nette chinesische Kanadierin, die ich in Francés kennengelernt hatte. Wir hielten noch ein kleines Schwätzchen und dann ging es für mich weiter hinunter und für die Kanadierin hinauf.

Ab dem Wald nahm der Verkehr ab. Gegen 15:30 Uhr war ich zurück im Camp, sprang noch einmal schnell unter die Dusche und machte mich dann auf zum benachbarten Willkommenscenter, um auf den Shuttle Bus zur Laguna Amarga zu warten.

Auf diesem Weg begann meine Wanderung. Und nach acht Tagen und 123 Kilometern endete sie hier auch.

Die Wartezeit bis zur Abfahrt des Shuttles versüßte ich mir mit einer großen Tüte Schokolade. Um 19 Uhr kam endlich der Bus und brachte uns zur windigen Laguna Amarga zurück.

Hier musste ich nur kurz warten, bis auch der Bus erschien, der mich zurück nach Puerto Natales bringen sollte. Er war nur halb belegt, sodass ich eine Sitzbank für mich alleine hatte. Hätte ich gar nicht duschen brauchen…

Um kurz vor 10 Uhr abends stand ich im Foyer meines alten Hostels. Es war schön, wieder die Annehmlichkeiten der Zivilisation genießen zu können. Aber jetzt, nachdem ich ein paar Tage zum Erholen hatte, die Blasen heilen und die Strapazen der Tour zu liebgewonnenen Erinnerungen werden, kann ich euch sagen, dass ich nichts dagegen hätte, bald wieder loszuwandern. 

Dieser Beitrag hat 6 Kommentare

  1. Marie

    Du kleiner Hobbit 🙂

  2. Mama

    Ich bin so froh, dass du diesen Bericht aus der Erinnerung schreiben konntest, denn das heißt ja, dass du das alles schon gemeistert hast. Welch großartige Leistung!

    1. Anne

      Danke Mama 🙂 Bin auch sehr froh, dass ich das geschafft habe.

  3. Opa Hans

    Ja, da ist er ja schon, Dein neuer Erlebnisbericht. Nein, von wem hast Du nur diese Gene in die Wiege gelegt bekommen. Dein Papa vertrat die Meinung, ein Kraftfahrer läuft nicht weiter als sein LKW mit Hänger lang ist. Dein Onkel Mathias benutzt auf seinen Touren wenigstens noch das Fahrrad und Du malträtierst Dein Körper freiwillig und musst für diese Tortouren noch bezahlen.
    Du kündigst Deine Standorte immer mit der Anzahl der Nächte an. Manchmal denke ich, soll sie es doch mal dabei belassen und die darauf folgenden Tage zur Erholung nutzen. 🤣
    Na ja, dafür währen Deine, wie auf den Fotos festgehaltenen Erlebnisse, ohne diese Strapazen nicht möglich gewesen.
    Weltanschauung kommt von Welt anschauen.
    Wenn irgendwann Dein jugendlicher Tatendrang mal an Deine Grenzen kommt, machst Du eine Kreuzfahrt. Da kannst Du Dich 24 Stunden nach Herzenslust verwöhnen lassen und an den üppigen Buffets wird Dir einiges verziehen werden
    Und bis dahin immer schön aufpassen und nicht übernehmen.

    1. Anne

      So etwas ähnliches wie eine Kreuzfahrt mache ich ja jetzt tatsächlich 🙂 Und nach Chile und Argentinien wird es sich wohl sowieso erstmal augewandert haben.

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